Pressemitteilung | IGB | 18-10-2000

Spree hängt am Tropf

 

Geplante Flutung der Lausitzer Braunkohle-Tagebaue. Berliner Gewässerökologen aus dem IGB untersuchten drei Jahre lang die Folgen für das Spree-Ökosystem. Präsentation der Ergebnisse am 18. Oktober

  • Bereits im Juli 2000 kam der Fluss stellenweise für 10 Tage praktisch zum Stillstand
  • Ganze Flussabschnitte sind von Flussfischen verlassen, Muschelbänke drohen im Schlamm zu ersticken, Wasserinsekten fehlt Sauerstoff und Strömung, Auen trocknen aus
  • Erstirbt die Fähigkeit zur Selbstregulation, ist die Wasserqualität auch in Berlin bedroht
  • Renaturierung des Flusslaufs könnte die ökologischen Folgen des zu geringen Wasserabflusses in der Spree ausgleichen

In der Lausitz (Brandenburg / Sachsen) wurde zu DDR-Zeiten intensiver Braunkohlebergbau betrieben. Für die Förderung im Tagebauen bis 120 m Tiefe musste der Grundwasserspiegel flächenhaft abgesenkt werden. Im Laufe der Jahrzehnte floss aus einem Gebiet von 2500 Quadratkilometern die gigantische Menge von 13 Milliarden Kubikmeter Wasser ab (bis zu 33 Kubikmeter pro Sekunde), was 13 Kubikkilometern Wasser oder dem doppelten Wasservolumen des Oderhochwassers von 1997 entspricht. Die nach 1990 stillgelegten Tagebaue sollen nunmehr zu Freizeitseen aufgefüllt werden. Das wieder aufsteigende Grundwasser wird allerdings beim Durchtritt durch die Abraumhalden mit Schwefelsäure angereichert, so dass die entstehenden Seen dadurch stark sauer sind. Um das zu umgehen, versucht man zur Zeit, möglichst viele dieser Tagebaue mit neutralem Wasser aus der Spree zu füllen. Da der jährliche Wasserdurchfluss der Spree aber nur etwa 0,5 Milliarden Kubikmeter Wasser beträgt, würde es Jahrzehnte dauern, die Entsauerung zu erreichen.

Für den Wasserhaushalt der Spree bedeutet das: Nach Jahrzehnten künstlich überhöhter Wasserführung während des intensiven Bergbaus würde eine Periode mit künstlich verringerter Wasserführung folgen - mit erheblichen ökologischen Auswirkungen hinsichtlich Wasserqualität, flusstypischer Flora und Fauna auf einer Länge von 250 Flusskilometern. Diese sind um so prekärer, als man den Flussquerschnitt zur Ableitung der großen Grundwassermengen und für geplante Schifffahrtszwecke in weiten Abschnitten verbreitert und vertieft hatte.

Berechnungen der Folgen

Den ökologischen Folgen der Wasserableitung kann u. a. durch Sicherstellung einer bestimmten minimalen Wasserführung (sprich: Begrenzung der Ausleitungsmenge zur Flutung der Tagebaue) begegnet werden. Die Frage, wieviel Wasser in der Spree minimal belassen werden muss, damit der Fluss "funktioniert", hat eine Expertengruppe aus dem am Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin-Friedrichshagen (Leitung: Dr. Martin Pusch und Dr. Jan Köhler) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und des Ministeriums für Landwirt-schaft, Umwelt und Raumordnung Brandenburg (MLUR) in dreijähriger Arbeit untersucht. Die Ergebnisse wurden am 18. Oktober diesen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das Forscherteam von Biologen und Hydrologen untersuchte in dem am stärksten betroffenen Flussabschnitt, der sogenannten "Krummen Spree" unterhalb des Spreewaldes, die Auswirkungen der Durchflussreduktion auf das Phytoplankton (Schwebealgen), die Schlammablagerung, die Sauerstoffkonzentration, die wirbellosen Kleintiere, die Fische und die Aue.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass sich besonders beim kritischen sommerlichen Niedrigwasser das Phytoplankton (Schwebealgen) der Spree rasant vermehrt. Andererseits wird das Phytoplankton im Zuge der biologischen Selbstreinigung sehr effektiv durch auf dem Flussgrund in großer Zahl lebende Flussmuscheln (teilweise geschlossene Muschelbänke) ausfiltriert. Das Überleben der Flussmuschel ist zur Zeit jedoch akut gefährdet, da während der lang anhaltenden Niedrigwasserphase im Sommer diesen Jahres die Schwebstoffe ebenfalls durch Sedimentation auf den Flussgrund absanken. In den so entstandenen Schlammbänken drohen die Flussmuscheln zu ersticken.

Beim bakteriellen Abbau des abgelagerten organischen Schlamms werden große Mengen Sauerstoff verbraucht. Aufgrund des unnatürlichen, tiefen Querprofils des ausgebauten Flusses wird dieser aber nur langsam über die Wasseroberfläche nachgeliefert. Das führt zu länger anhaltendem Sauerstoffmangel in den unteren Flussabschnitten. Deswegen sind typische Flussfischarten wie Barbe oder Quappe aus dem untersuchten Flussabschnitt der Spree bereits verschwunden. Wegen der Zerstörung der Laichplätze infolge des Flussausbaus ist eine Rückkehr unwahrscheinlich. Auch die Artenzahl der wirbellosen Kleintiere ist durch den Sauerstoffmangel bereits drastisch zurückgegangen.

Beispiel Köcherfliege

Am Beispiel einer genauer untersuchten Insektenart, der Larve der Köcherfliege Hydropsyche (Wassergeistchen), die mit selbstgesponnenem Netz Schwebstoffe aus dem Wasser zur Nahrung herausfiltert, konnte gezeigt werden, dass das Insekt bei zu geringem Wasserdurchfluss zu wenig Nahrung zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels gewinnt. Fällt die Strömungsgeschwindigkeit unter die Toleranzschwelle von 8 Zentimeter pro Sekunde, baut ein Großteil der hungernden Tiere daher auch kein funktionsfähiges Netz zum Einfangen der Schwebeteilchen mehr, da der Energieaufwand nicht lohnt - die Tiere verhungern, wenn der Wasserdurchfluss der Spree nicht zunimmt.

Durch die verringerte Wasserführung und künstliche Vertiefung der Spree sind auch deren Auen und die Laichgewässer die für diesen Lebensraum typische Rotbauchunke weithin trockengefallen, so dass diese Amphibienart in den ehemaligen Überschwemmungsgebieten vermutlich bereits ausgestorben ist.

Wieviel Wasser braucht die Spree?

Bei der Berechnung einer ökologisch bedingten Mindestwasserführung fanden die Wissenschaftler des IGB heraus: Erhöht sich im Sommer der Durchfluss in der Spree um einen Kubikmeter pro Sekunde, setzt sich 10 Prozent weniger Schlamm auf dem Flußgrund ab. Außerdem stellten sie durch Messungen fest: Der für Fische schädliche Sauerstoffmangel könnte vermieden werden, wenn die Wasserführung der Spree im Sommer nicht unter 6 Kubikmeter pro Sekunde sinken würde. Die wirbellosen Kleintiere benötigen minimal 9 Kubikmeter pro Sekunde für eine dauerhafte Fortexistenz. Zusätzlich braucht die Spree kleine Hochwässer, um die Schlammbänke regelmäßig fortzuspülen. Diese Hochwässer dürfen nicht zur Füllung der Tagebaue abgeleitet werden.

Eine solche ökologisch bedingte Mindestwasserführung kann in trockenen Jahren wie im Sommer 2000 trotz Unterbrechung der Tagebauflutung nicht aufrechterhalten werden (zuviel Spreewasser versickert unkontrolliert in die Tagebaue. Dadurch fiel der Durchfluss der Spree unterhalb des Spreewaldes im Juli 2000 während 10 Tagen auf weniger als 1 Kubikmeter pro Sekunde. Dort kam der Fluss praktisch zum Stillstand. Die ökologischen Folgen dieser Trockenphase sind gegenwärtig noch nicht abzusehen.

Die Wissenschaftler des IGB warnen außerdem, dass bei einem Kollaps der Selbstregulation des SpreeÖkosystems die Wasserqualität auch in den Berliner Spreegewässern bedroht sein könnte, da sich dann die Planktonalgen, insbesondere die gesundheitsschädliche Gruppe der Blaualgen, massiv vermehren könnten. Aus den Berliner Spreegewässern bezieht die Stadt drei Viertel ihres Trinkwassers.

Verkleinerung des Gewässerquerschnitts

Eine Lösungsmöglichkeit besteht in einem baldigen naturnahen Rückbau (Renaturierung) des Flussbetts der Spree. Die IGB-Wissenschaftler prognostizieren, dass nach einer Verkleinerung des Gewässerquerschnitts und einer Wiederbelebung der ehemals abgetrennten Flussschleifen (Mäander) die Fließgeschwindigkeit und der Sauerstoffgehalt des Spreewassers auch bei geringer Wasserführung akzeptable Werte erreichen würde. Typische Flussfischarten wie Barbe, Hasel, Döbel, Rapfen oder Quappe könnten wieder Lebensmöglichkeiten finden. Gleichzeitig würde das im Winter reichlicher vorhandene Wasserdargebot in renaturierten Auen besser bis in den Sommer gespeichert werden. Das Gebiet der "Krummen Spree" bekäme so die Voraussetzungen, beim wasserbezogenen Tourismus an den boomenden Spreewald anknüpfen.

Für insgesamt 50 Flusskilometer der Spree existieren bereits Vorplanungen für eine Renaturierung, die zügig umgesetzt werden könnten. Die Kosten der Renaturierung werden in Abhängigkeit vom aktuellen Zustand von Fluss und Aue auf 0,1 bis 1 Million Mark pro Flusskilometer geschätzt. Im Biosphärenreservat Spreewald hat man den Handlungsbedarf bereits früher erkannt und beginnt zur Zeit mit der Umsetzung eines größeren Gewässerrandstreifenprogramms.

Kontakt::
Dr. Martin Pusch, Tel.: 030/ 64181 685, e-mail pusch@igb-berlin.de
Dr. Jan Köhler, Tel.: 030/ 64181 687, e-mail: koehler@igb-berlin.de