Eine neue Untersuchung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Zusammenarbeit mit dem World Wide Fund for Nature Vietnam (WWF-Vietnam) und dem Sabah Forestry Department der Regierung Malaysias legt nahe, dass Wilderei mit Schlingfallen für Säugetiere und bodenlebende Vögel in Südostasien gegenwärtig eine größere Bedrohung darstellen kann als die Degradierung des Regenwalds durch selektiven Holzeinschlag. Die Forscher führten eine groß angelegte Kamerafallen-Untersuchung durch, um mehrere forstwirtschaftlich genutzte Wälder im malaysischen Borneo und Schutzgebiete im Truong-Son-Gebirge in Vietnam und Laos zu vergleichen, von denen bekannt ist, dass sie der Wilderei ausgesetzt sind. Die im wissenschaftlichen Journal „Communications Biology“ veröffentlichten Ergebnisse zeigen einen stärkeren Verlust in der Tierwelt in den von der Wilderei betroffenen Wäldern als den forstlich genutzten Regenwäldern.
Es ist wohl bekannt, dass sowohl die Degradierung der Lebensräume als auch die Wilderei – beispielsweise durch Schlingfallen – gravierende Konsequenzen für Tiergemeinschaften in tropischen Regenwäldern haben. Bislang hatte noch keine wissenschaftliche Untersuchung verglichen, wie schwerwiegend die Effekte dieser beiden Prozesse im Hinblick auf die Artenvielfalt bei Säugetieren und Vögeln im Vergleich tatsächlich sind. Die neue Untersuchung bestätigt, dass sowohl die Abholzung als auch die Wilderei negative Auswirkungen auf die bodenlebenden Säugetier- und Vogelgemeinschaften hatten, mit schwerwiegenderen Auswirkungen auf die Tierwelt durch die Wilderei. Im Truong-Son-Gebirge in Vietnam und Laos stellten die WissenschaftlerInnen höhere Anteile an lokal ausgerotteten Arten fest als in den Forstkonzessionen in Borneo. Selbst Arten, die in Vietnam und Laos dem Aussterben durch Wilderei bislang entronnen waren, kamen dort weitaus seltener vor als vergleichbare Arten in den Einschlaggebieten in Borneo.
„Wir hatten die einzigartige Gelegenheit, die komplexen Mechanismen dieser Triebkräfte des Verlustes der biologischen Vielfalt zu untersuchen und ihre negativen Auswirkungen direkt zu vergleichen“, sagt Andrew Tilker, Doktorand am Leibniz-IZW und Asian Species Officer bei Global Wildlife Conservation, einer der Hauptautoren der Arbeit. „Unsere Untersuchungsgebiete im tropischen Regenwald im malaysischen Teil von Borneo werden durch selektiven Holzeinschlag degradiert, dort wird aber sehr wenig gewildert. In den Bergen in Vietnam und Laos hingegen sind die Regenwälder strukturell intakt, die Tierwelt ist aber einem extrem hohen Druck durch Wilderei ausgesetzt. Da die beiden Untersuchungslandschaften ähnliche Lebensräume und Tiergemeinschaften aufweisen, bot sich hier die Gelegenheit zu untersuchen, inwieweit sich diese Prozesse in ihren Auswirkungen auf die Tiergemeinschaften des tropischen Regenwaldes unterscheiden.“
„Diese Ergebnisse sind aus wissenschaftlicher Sicht interessant und sie liefern wichtige Hinweise für konkrete Naturschutzbemühungen“, sagt Dr. Jesse F. Abrams, Postdoc am Leibniz-IZW und weiterer Hauptautor. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Erhalt der Lebensräume als Mittel zum Schutz der tropischen Biodiversität notwendig, aber eben nicht ausreichend ist.“ Obwohl beide Einflussfaktoren auf den Biodiversitätsverlust im Natur- und Artenschutz bekämpft werden sollten, könne es in einigen Fällen sinnvoller sein, begrenzte finanzielle Ressourcen im Natur- und Artenschutz für Programme gegen Wilderei einzusetzen als für den Habitatschutz.