Interview | FVB, IGB | 14-07-2020

Interview mit Prof. Dr. Luc De Meester - "Berlin bietet ein fantastisches Forschungsumfeld"

Der belgische Gewässerökologe und Evolutionsbiologe Luc De Meester ist als neuer Direktor an die Spitze des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) getreten. Er hat auch die Professur für Freshwater Science an der Freien Universität Berlin übernommen.

Prof. Dr. Luc De Meester | Foto: David Ausserhofer

Das Interview führten Nadja Neumann & Katharina Bunk (IGB), Anja Wirsing & Gesine Wiemer (FVB).

Neumann & Bunk:  Luc De Meester, warum wollten Sie Direktor des IGB werden?

Das IGB ist eines der herausragenden Gewässerforschungsinstitute in Europa und weltweit. Das Institut hat sich hervorragend entwickelt, sodass jetzt ein toller Zeitpunkt ist, das Ruder zu übernehmen – das IGB ist international hoch angesehen, aber es gibt genug Spielräume und Flexibilität für neue Ansätze. Die Bandbreite, alle Aspekte ganzer Ökosysteme untersuchen zu können, in Verbindung mit der Langzeitperspektive, unterscheidet uns von den Rahmenbedingungen in Unilaboren, wo Forschungsaktivitäten häufig von den kurzfristigen Perspektiven der befristeten Forschungsprojekte abhängen. Hier am IGB haben wir die Möglichkeit, wirklich langfristig zu denken und die Entwicklung innovativer Forschungsideen mit dem Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis zu verbinden. Diese Themenoffenheit und Flexibilität finde ich großartig und extrem wichtig, um relevante, zukunftsorientierte Forschung zu betreiben. An der Universität in Löwen habe ich in den letzten 20 Jahren eine ziemlich große Forschungsgruppe geleitet, geforscht und sehr viel Lehre gemacht. Das alles unter einen Hut zu bringen, war zeitweise herausfordernd, aber es war eine sehr erfüllende Aufgabe, die mir sehr großen Spaß gemacht hat. Aber ich habe die Vorstellung, als IGB-Direktor einen größeren gesellschaftlichen Beitrag leisten zu können – also einen nachhaltigeren Umgang mit unseren Gewässern zu fördern.

Wirsing & Wiemer: Seit Anfang des Jahres arbeiten Sie am IGB und dann legte die Corona-Krise alles lahm. Wie hat das die Arbeit am IGB beeinflusst?

Ich habe zu Beginn des Jahres enthusiastisch begonnen und alles hat sich sehr gut entwickelt. Dann kam das Coronavirus und wir befanden uns für etwa zwei Monate im Präsenznotbetrieb. Wir haben eine Task Force, die zu jener Zeit täglich virtuell zusammenkam. Es war eine sehr intensive Zeit – und es ist erstaunlich, wie viel Energie es erfordert hat, die Aktivitäten am Institut verantwortungsvoll zu reduzieren. Einige wichtige Arbeiten wurden fortgesetzt, wie die Pflege der Fische und der wirbellosen Tiere sowie ein Teil der Langzeit- und Freilandforschungen, bei denen im Feld nur Daten erfasst werden mussten. Wir befinden uns jetzt in der Phase, in der die Forschungsaktivitäten wieder hochgefahren werden. Dies ist für unser Institut sehr wichtig, da der Frühsommer die Saison für die Untersuchung vieler ökologischer Prozesse ist.

Neumann & Bunk: Welche Herausforderungen sehen Sie in Ihrer neuen Position?

Ein Wechsel im Management ist keine leichte Aufgabe. In meiner eigenen Forschung bin ich fasziniert davon, wie Artengemeinschaften und Populationen auf Umweltveränderungen oder Extremereignisse reagieren. Widerstandsfähigkeit und die Flexibilität, auf Veränderungen zu reagieren und davon zu profitieren, sind sehr wichtig. Aber auch, dass die Veränderungen nicht zu drastisch oder extrem sind. Ich denke, das gilt auch für ein Institut wie das IGB. Ein Spagat wird sein: Wie weit kann ich eine starke Vision ausstrahlen, gleichzeitig auf bestehenden Strukturen aufbauen und die Mitarbeitenden mitnehmen, bevor es ihnen zu bunt wird und sie abschalten? Mir ist wichtig, dass das IGB eine Gemeinschaft ist, dass wir gemeinsam die gleichen Ziele verfolgen. Eine zusätzliche Herausforderung für mich als Belgier wird sein, mich in die deutsche Sprache und die deutsche Wissenschaftslandschaft und Forschungspolitik einzuarbeiten. Aber Herausforderungen…

Neumann & Bunk: ...können ja auch Chancen sein?

Ja, natürlich. In Deutschland wird viel in die Nachhaltigkeitsforschung investiert, das ist eine Chance, das finde ich grandios. Und ich habe den Eindruck, dass die Gesellschaft in Deutschland der Wissenschaft und ihren Forschungsergebnissen gegenüber sehr positiv eingestellt ist. Und dass die Politik hierzulande offen für forschungsbasierte Beratung ist.

Wirsing & Wiemer:Sie sind nicht nur Direktor des IGB geworden, sondern auch ein Vorstandmitglied im FVB – einer der größten Berliner Forschungseinrichtungen. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Institutsdirektor?

Ich bin neu im deutschen und Berliner System, daher kenne ich nicht die Details, wie die Dinge hier funktionieren. Teil eines größeren Ganzen zu sein, ist einer der Gründe, warum es mich reizte, Direktor am IGB zu werden. Bei einer zentralen Verwaltung, wie der FVB sie bietet, gibt es einen zusätzlichen Puffer, der eine Vision in die Realität umzusetzen hilft. Dieser wird noch verstärkt durch das Verwaltungs- und Leitungspersonal des IGB, dessen Professionalität mir viel Vertrauen gibt.

Der Vorstand ermöglicht mir, von anderen Direktoren zu lernen. Aufgrund der Vielfalt der Institute, aus denen sich der FVB zusammensetzt, bietet er auch einen Blick auf das große Ganze. Allerdings sehe ich auch einige Einschränkungen, da sich die Institute in ihren Forschungsthemen sehr stark unterscheiden und somit nicht so viele wissenschaftliche Berührungspunkte bestehen. Aber vielleicht werde ich in Zukunft über einige unerwartete Synergien überrascht sein – das macht den Reiz aus. Im Moment bin ich überzeugt, dass die professionelle gemeinsame Verwaltung den wichtigsten Mehrwert des FVB darstellt.

Wirsing & Wiemer:  Berlin ist ein wichtiger Standort der deutschen Biodiversitätsforschung. Was ist hier besonders interessant für Sie?

Ich bin sehr beeindruckt von Berlin. Hier gibt es eine der höchsten Dichten an Forschenden und wissenschaftlichen Aktivitäten weltweit – verschiedene Universitäten sowie eine erstaunliche Vielfalt an Instituten und Forschungsgruppen, die alle wissenschaftlichen Disziplinen abdeckt. Dies spiegelt sich auch in BR50 wider, der neuen Initiative der Berliner außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Ich habe an der Gründungsversammlung teilgenommen und bin von diesem großen Netzwerk sehr inspiriert. BR50 wird die positive Atmosphäre der Zusammenarbeit in dieser Stadt noch weiter stärken.

In Bezug auf die Forschungsthemen des IGB gibt es Hunderte von Ökologinnen und Ökologen, Evolutionsbiologinnen und -biologen sowie Biodiversitätsforschenden in Berlin, die viele Kooperationen ermöglichen. Mit Blick auf Vernetzung sind diese Bedingungen ideal. Darüber hinaus bietet die Region Berlin ein fantastisches Forschungsumfeld, auch im Hinblick auf unsere Forschungsobjekte, die Süßwasser-Ökosysteme und ihre Lebewesen.  

Wirsing & Wiemer:  Das IGB verfolgt wichtige Themen wie Biodiversität und Klimawandel, die für unsere Gesellschaft sehr relevant sind.

Ja, das ist richtig. Aktuell ist es interessant zu sehen, dass die Virologen zum Coronavirus gehört werden, die Meinung der Expertinnen und Experten also wirklich befolgt wird. So sollte es auch sein – und es hat in Deutschland sicherlich eine katastrophale Entwicklung verhindert. Gleichzeitig zeigt die COVID-19-Krise, wie viele verschiedene Aspekte des Lebens und menschliche Einflüsse miteinander verbunden sind, die eine breite Perspektive und wissenschaftliche Untermauerung erfordern.

Dass wissenschaftliche Erkenntnisse so sorgfältig berücksichtigt und drastische Maßnahmen umgesetzt werden, ist leider bei anderen Krisen wie dem Klimawandel oder dem Verlust der biologischen Vielfalt schwerer zu erreichen. Sie sind ebenfalls sehr tiefgreifend und können verheerende, irreversible Auswirkungen haben. Es ist hierbei jedoch schwieriger, da die direkten Auswirkungen weniger nah und offensichtlich an den Menschen zu sein scheinen. Ich hoffe, dass die für die COVID-19-Krise vorgenommene Neuausrichtung auf die eine oder andere Weise Möglichkeiten schafft, auch an diesen anderen drängenden Herausforderungen zu arbeiten. Wir am IGB helfen gerne, wo immer dies möglich ist, mit unserem Wissen über Süßwassersysteme.

Luc De Meester kommt von der Universität Löwen (KU Leuven) in Belgien, wo er Professor für Ökologie und Evolutionsbiologie ist. Er übernimmt den Direktorenposten von Klement Tockner, der das IGB von 2007 bis 2016 leitete, bevor er zum Präsidenten des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF berufen wurde. In der Zwischenzeit wurde das Institut kommissarisch von Mark Gessner, Leiter der IGB-Abteilung Experimentelle Limnologie, geführt und erfolgreich evaluiert.

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