Aktuelles | MBI | 02-02-2021

Ausweitung der Längenskala für ab-initio Berechnungen der elektronischen Struktur in Festkörpern

Die Dichtefunktionaltheorie (DFT) hat einen enormen Einfluss auf die Festkörperphysik und ist aufgrund ihrer Recheneffizienz das Herzstück der modernen computerbasierten Materialforschung.

Abb.: Selbstkonsistente Dichte für eine LiF Zelle mit 3456 Atomen in einem künstlichen externen Potential. Die Physik auf der Längenskala eines einzelnen Atoms und auf der im Vergleich dazu sehr großen Längenskala des Potentials kann mit der gleichen Methodik behandelt werden, dadurch werden Probleme auf mesoskopischen Längenskalen erstmals für DFT Berechnungen zugänglich. | Abb. MBI

Während DFT ein tiefes Verständnis mikroskopischer Eigenschaften bietet, kann sie bisher nichts über die Physik auf größeren, mesoskopischen Längenskalen aussagen. Beispiele für Probleme auf dieser Längenskala sind langreichweitige Quasiteilchen, Magnonen, Skyrmionen, magnetische Domänen oder räumlich abhängige elektrische Felder. Da es sich bei der DFT um eine formal exakte Theorie handelt, ist die zugrundeliegende Physik für solche Phänomene zwar leicht zugänglich, die tatsächlichen Berechnungen bleiben jedoch sehr schwierig. Während es prinzipiell möglich ist, immer größere Superzellen zu verwenden, stößt man in der Praxis schnell an die Grenze der Berechenbarkeit.

Forscher des Max-Born-Instituts, Berlin, haben nun zusammen mit Kollegen des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik, Halle, und des Fritz-Haber-Zentrums für Molekulare Dynamik, Jerusalem, einen grundlegend anderen Ansatz entwickelt, um die Längenskala von DFT-Rechnungen drastisch zu erweitern, ohne die Rechenkosten signifikant zu erhöhen. Wie in der Fachzeitschrift Physical Review Letters berichtet wird, beruht der Ansatz auf veränderten Bloch-Zuständen; dazu wird eine zusätzliche Summe in den Bloch-Zuständen über ein feineres Gitter im reziproken Raum um jeden k-Punkt eingeführt. Die resultierenden Dichten werden damit zu einer Fourier-Reihe kontrollierbarer Periodizität, die bis in den Nanometerbereich reichen kann.

Um die Leistungsfähigkeit der neuen Methode zu demonstrieren, haben die Wissenschaftler eine Berechnung durchgeführt, die für eine herkömmliche Superzelle zu groß ist. Die Berechnungen wurden für 3456 LiF-Einheiten in einem willkürlichen Potenzial durchgeführt - zur Demonstration der Methode in Form eines Elchs. Die Berechnung wurde auf 480 CPU-Kernen durchgeführt und jede Iteration dauerte etwa 40 Minuten. Konvergenz der Berechnung wurde in 24 Iterationen erreicht. Dieses Leistungsniveau für eine Berechnung mit allen Elektronen des Systems illustriert, dass physikalische Phänomene, die Modulationen des elektronischen Zustands über Hunderte oder Tausende von Einheitszellen beinhalten, mit diesem Ansatz bearbeitet werden können. Damit wird ein Weg zur Berechnung von mesoskopischen Phönomenen geebnet, wie z.B. der Konfiguration von magnetischen Domänenwänden oder Skyrmionen – deren Studium auf der Basis von ab-initio Methoden war bisher zu rechenaufwändig und damit praktisch unmöglich.

Extending Solid-State Calculations to Ultra-Long-Range Length Scales
T. Müller, S. Sharma, E. K. U. Gross, and J. K. Dewhurst
Phys. Rev. Lett. 125, 256402 – Published 16 December 2020, DOI