Forschung | FMP | 02-03-2021

Das Zellgift im Rucksack

Prof. Christian Hackenberger erforscht proteinbasierte Biopharmazeutika, die zielgenau gegen Krebs und Virusinfektionen eingesetzt werden können. Auf der Berlin Science Week Anfang November wurde der FMP-Forscher mit dem „Breakthrough of the year“-Award ausgezeichnet.

Mithilfe der neu entwickelten Technologie können Cysteine (SH) von Tumor-erkennenden Antikörpern (gelb) einfach mit toxischen Wirkstoffmolekülen verbunden werden. Die entstehende Bindung ist während der Zirkulation im Blut sehr stabil und ermöglicht so einen sicheren Transport zum Tumor. | Visualisierung : Barth van Rossum/FMP

Herr Prof. Hackenberger, Glückwunsch zum Award. Richtig feiern konnten Sie die Auszeichnung in der aktuellen Situation sicher nicht. Hat das Ihre Freude etwas getrübt?

Tatsächlich fand alles online statt, aber nein, getrübt hat das meine Freude sicherlich nicht. Die Begeisterung ist groß, insbesondere weil ich als Chemiker in der Kategorie Lebenswissenschaften ausgezeichnet worden bin. Damit hätte ich nie gerechnet.

Dabei ist es Ihnen mit einer Art molekularem Superkleber bereits gelungen, das Grippevirus zu blockieren. Jetzt Sie sind auch am Coronavirus dran.Gibt es Hoffnung, dass wir bald eine antivirale Therapie gegen COVID-19 haben?

Wir arbeiten mit Hochdruck daran, unsere Phagen-Kapside auf das Coronavirus zu adaptieren, und ich kann Ihnen sagen: Die ersten Ergebnisse sehen sehr vielversprechend aus. Allerdings ist der Ansatz so komplett neu, dass wir noch viel Zeit brauchen werden, um in die klinische Phase gehen zu können. Insofern möchte ich für die aktuelle Pandemie keine falschen Hoffnungen wecken. Ich bin aber zuversichtlich, dass unser Konzept auf andere virale Infektionen durch Coronaviren genauso anwendbar ist wie auf das Influenzavirus. Und dann hätten wir eine Plattform, die auch auf jedes andere x-beliebige Virus übertragbar wäre.

Ihr Ansatz basiert darauf, gefährliche Viren mit ungefährlichen Viren zu bekämpfen. Wie funktioniert das Ganze?

Das Grundkonzept ist, dass wir leere, nicht-infektiöse Hüllen eines Phagen-Virus chemisch so modifizieren, dass das gefährliche Virus komplett eingehüllt wird und damit nicht mehr für eine menschliche Zelle infektiös ist. Diese Phagen-Kapside funktionieren wie eine Art Superkleber, der passgenau an die Bindungsstellen des Virus bindet. Unser virusspezifisches Design macht den Ansatz auch so besonders. An menschlichen Lungenmodellen der Charité konnten wir Influenzaviren auf diese Weise unschädlich machen. Bei Corona besteht die Herausforderung darin, die Wege zu kennen, über die das Virus an Lungen- oder andere Körperzellen bindet. Da sind wir auf die laufenden Erkenntnisse aus der Community angewiesen – aber wie gesagt, wir sind hier auf einem guten Weg.

Um ein passgenaues Design geht es auch bei ihrem zweiten Durchbruch des Jahres, der Entwicklung von sogenannten Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten – kurz ADCs.

Die Auszeichnung bezieht sich auf eine von uns entwickelte Technologie, die es ermöglicht, Antikörper aus dem Bereich der Krebsimmuntherapie mit einem Medikament zu beladen, das dann gezielt in der Krebszelle freigesetzt wird. Die Grundidee ist, Patienten die Nebenwirkungen einer Chemotherapie zu ersparen. Wir waren damit so erfolgreich, dass wir 2019 zusammen mit unseren Kooperationspartnern von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) das Start-up Tubulis ausgegründet haben. Dort werden die ADCs mit meinem ehemaligen Doktoranden Dominik Schumacher als CEO jetzt weiterentwickelt und zur Marktreife gebracht.

Knapp elf Millionen Euro Kapital konnte Tubulis in diesem Sommer einwerben. Was hat die Investoren überzeugt?

Ausschlaggebend war vermutlich, dass wir zeigen konnten: Unsere Präparate sind besser als ein bereits zugelassenes Medikament. Aber nicht nur das, ich denke auch, dass wir als gesamtes Team überzeugen
konnten, da immer noch enge Kooperationen mit Tubulis, der LMU und dem FMP laufen.

Besser als ein zugelassenes Medikament – das müssen Sie erklären.

Wir haben sozusagen eine Vergleichsstudie mit dem Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Adcetris® durchgeführt, das zur Behandlung des Hodgkin-Lymphoms zugelassen ist. Dieses Medikament haben wir 1:1 nachgebaut, mit dem einzigen Unterschied, dass wir Antikörper und Wirkstoff mit unserer patentierten P5-Technologie verknüpft haben. Anschließende prä-klinische Versuche zeigten, dass unser „P5-Adcetris“ wesentlich stabiler und wirksamer ist als das Original. Letztlich konnte im in-vivo-Versuch die Überlebenszeit verdoppelt werden.

Woran liegt diese Überlegenheit?

Es ist die Art und Weise, wie wir Medikamentenmoleküle an einen Antikörper binden. Dafür haben wir ein chemisches Verfahren entwickelt und eines, das mit einem natürlichen Enzym arbeitet. Wenn Sie sich den Antikörper als Spürhund vorstellen, der Krebszellen aufgrund bestimmter Merkmale erkennt – seien es Rezeptoren auf der Zelloberfläche oder bestimmte Zuckerstrukturen – dann haben wir sozusagen den Rucksack neu entwickelt, in dem er das Zellgift transportiert. Und dieser Rucksack ist eben so gut und sicher auf dem Rücken des Spürhundes angebracht, dass die Fracht nicht schon vorher verlorengeht, sondern zur richtigen Zeit am richtigen Ort freigesetzt wird. Die Chemotherapie kann also unmittelbar dort wirken, wo sie gebraucht wird und gesunde Zellen werden geschont.

Die stabile Verknüpfung zwischen Antikörper und Medikament war der Schwachpunkt bisheriger Konjugate und hat zum Teil zu bösen Nebenwirkungen geführt. Wann werden Sie im Menschen zeigen können, dass Ihre Technologie besser ist?

Ich denke, hier könnten wir schneller sein als mit den antiviralen Medikamenten. Ein Zeithorizont von wenigen Jahren wäre für unseren Lead-Kandidaten zur Behandlung von lymphatischen Erkrankungen vorstellbar. Für andere Tumorentitäten kann ich noch keine Aussage treffen, denn das ganze System muss jedes Mal neu justiert werden. Sie brauchen den passenden Antikörper und das entsprechende Medikament, das dann genau bei diesem Tumor wirkt. Das ist alles andere als trivial.

Zur Klarstellung: Die Antikörper entwickeln Sie nicht selbst?

Korrekt. Das was wir in meiner Arbeitsgruppe machen, ist, einen vorhandenen Antikörper mit einer Zusatzfunktion auszustatten. Die Möglichkeiten reichen aber weit über den Transport von Chemotherapeutika hinaus. Unsere Kooperationspartner an der LMU München, allen voran die Arbeitsgruppe von Prof. Heinrich Leonhardt, entwickeln aber neue Antikörper. Wir arbeiten also an allen Fronten, um unsere Pipeline zu füllen.

Was ist neben dem Zellgift im Rucksack noch geplant?

Im Bereich des gezielten Wirkstofftransports befassen wir uns außerdem damit, wie wir Antibiotika zu bakteriellen Infektionen bringen können, die schwer zugänglich sind. Darüber hinaus lassen sich Antikörper auch für diagnostische Zwecke nutzbar machen, dergestalt, dass die aufgespürten Krebszellen durch eine Art Blaulicht für den Arzt sichtbar werden. Und es sind noch eine ganze Reihe weiterer neuer Verfahren und Anwendungsgebiete geplant, die ich Ihnen aber heute noch nicht verraten darf.

Sie sind Chemiker und nun auch Unternehmer. Wie fühlen Sie sich in dieser Doppelrolle?

Ich sehe mich weniger als Chemiker oder Unternehmer, sondern als Teil einer großen wissenschaftlichen Community. Gemeinsam mit Kollegen aus anderen Bereichen, insbesondere auch in der Industrie, an Lösungen arbeiten, die einen Mehrwert für die Gesellschaft haben, das ist es, was mich stolz macht und motiviert. Im Übrigen bin ich zwar einer der vier Mitgründer von Tubulis und an den strategischen Planungen
beteiligt, aber aus dem operativen Tagesgeschäft halte ich mich heraus. Der Dominik macht das so gut, dass ich im Hintergrund einfach nur klatschen kann.

Und was wünscht sich der Forscher Christian Hackenberger für seine eigene Zukunft?

Natürlich, dass wir das Begonnene erfolgreich zu Ende führen. Persönlich wünsche ich mir, dass mir meine wissenschaftliche Neugier und Kreativität erhalten bleibt, damit ich mich immer wieder auf neue  Herausforderungen einlassen kann. Und natürlich, dass mir meine Begeisterung für unsere Forschung weiterhin solch phantastische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschert, wie ich sie bisher hatte. Das ist und bleibt eines der größten Geschenke, die man als Hochschullehrer bekommen kann!

Das Interview führte Beatrice Hamberger.

Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)

Prof. Dr. Christian Hackenberger
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Silke Oßwald
Öffentlichkeitsarbeit
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