Forschung | IKZ | 29-01-2024

Kristallzüchtung – wie soll man sich das vorstellen?

Werden Kristalle ähnlich gezüchtet wie Bananen, Äpfel oder seltene Tulpen? Nein, natürlich nicht! Kristallzüchtung beschreibt die Fülle technischer Prozesse und Methoden, die es ermöglicht, kristalline Materialien „wachsen“ zu lassen

Das bekannteste, aber bei weitem nicht älteste Verfahren wurde vom polnischen Chemiker Jan Czochralski hier in Berlin unweit des heutigen Leibniz-Instituts für Kristallzüchtung (IKZ) entwickelt. Auch nach über 100 Jahren gehört das Czochralski-Verfahren zu den wichtigsten Prozessen der kommerziellen Halbleiterherstellung und bedarf weiterhin stetiger Weiterentwicklung. Darum kümmert sich im IKZ ein internationales Team von Wissenschaftler*innen. Unter ihnen ist Dr. Iryna Buchovska, die uns im Science Clip des IKZ zum 30. Jubiläum des Forschungsverbundes Berlin das Institut zeigt und auf eine Reise durch verschiedene Abteilungen des IKZ mitnimmt.

Ziehen aus der Schmelze

Das Czochralski-Verfahren wird auch als „Tiegelziehen“ oder „Ziehen aus der Schmelze“ bezeichnet. Diese Namen beschreiben bereits sehr gut, was geschieht. In einem Tiegel liegt ein geschmolzenes Material vor. Ein kleiner Kristall, der Impfkristall, wird nun in die Schmelze getaucht. Bevor der Impfkristall selbst schmilzt, wird er unter langsamer Drehbewegung herausgezogen. Dabei zieht der Kristall ein wenig der Schmelze mit sich, welche an seinen Oberflächen kristallisiert. Der zunächst kleine Kristall wächst so immer weiter an. Je nach Material kann das mehrere Stunden oder gar Monate in Anspruch nehmen. Der Legende nach entwickelte Jan Czochralski sein Verfahren mit einem Tintenfässchen als Tiegel. Der so gezogene Kristall kann am Ende nur wenige Zentimeter lang und Millimeter dick gewesen sein. Heute ist man da viel weiter. Czochralski-gezüchtete Halbleiterkristalle können mehrere Meter in ihrer Länge und einige Zoll im Durchmesser messen. Diese wachsen in beeindruckend großen und technisch hoch entwickelten Anlagen.

Forscher*innen aus diversen Disziplinen

Um Kristalle zu produzieren und zu erforschen, braucht man jedoch nicht nur Kristallzüchter*innen. Am IKZ arbeiten Forschende aus diversen Disziplinen zusammen. Es braucht Fachwissen aus Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Anlagenbau, Informatik und vieles mehr. Numerische Simulationen unterstützen und beschleunigen die Forschungsarbeit. So können beispielsweise Temperaturen und Strömungen in der Schmelze während des Kristallwachstums am Computer modelliert werden. Ein an sich sehr zeitaufwändiges Experiment kann so im Schnelldurchlauf digital simuliert und der Züchtungsprozess im Vorhinein optimiert werden. Für die Entwicklung besonders komplexer Wachstumstechnologien ist es häufig von Vorteil, die großen Versuchsanlagen im Kleinen nachzubauen. Diese meist gläsernen Modellanlagen bieten häufig substanzielle Einblicke in die fundamentalen physikalischen Prozesse während der Kristallzüchtung. Dr. Kaspars Dadzis lässt tief blicken und erklärt uns im Science Clip, wie man die Prozesse in hoch entwickelten Züchtungsanlagen in simplere Modellanlagen überführt, ohne dass sie ihre physikalische Komplexität einbüßen.

Immer perfektere kristalline Werkstoffe

Zum Abschluss der Kristallzüchtung erfolgt die Qualitätskontrolle. Expert*innen wie Dr. Andreas Fiedler charakterisieren die kristallinen Materialien und stellen so die Eignung der Kristalle und Verfahren für die unterschiedlichsten Anwendungen sicher. Egal ob in der Lasertechnologie, in der Halbleiterelektronik oder in der Diagnostik: Ohne Kristalle wäre unsere hoch technologisierte Welt undenkbar. Für die stetig steigenden Anforderungen an Sensoren, Solarzellen, Transistoren und Co braucht es auch immer perfektere kristalline Werkstoffe. Bereits winzige Verunreinigungen oder minimal fehlerhaftes Wachstum der Kristalle kann zu Fehlfunktionen der auf ihnen basierenden technischen Bauteile führen. Die Methoden, um ihre optische und elektrische Qualität zu prüfen, müssen infolgedessen auch immer genauer werden.

Kristallzüchtung ist keine Technologie, die im Alleingang revolutioniert werden kann. Auch einem Jan Czochralski würde das heute nicht mehr gelingen. Es braucht interdisziplinäre Teams von Techniker*innen, Ingenieur*innen, Wissenschaftler*innen mit den unterschiedlichsten Herangehensweisen und Spezialisierungen, um die Technologien für die Züchtung und Anwendung von Kristallen maßgeblich nach vorn zu bringen. Das Leibniz-Institut für Kristallzüchtung und der gesamte Forschungsverbund möchten allen Mitarbeitenden ein offenes und tolerantes Arbeitsumfeld bieten und damit auch die technologische Innovation aktiv fördern. Die Erfolge der letzten 30 Jahre zeigen, dass uns dies häufig gelungen ist. Wir hoffen, auch in den kommenden Jahrzehnten mit einem bunten, kompetenten Team den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu begegnen und mit neuartigen und außerordentlichen kristallinen Materialien die Zukunftstechnologien genauso zu gestalten wie die Technologie unserer Jetztzeit.

Text: Dr. Owen Ernst

Der Artikel ist im Verbundjournal 119 | 2022 mit dem Schwerpunkt "30 Jahre FVB" erschienen.

Video / Science Clip