Forschung | WIAS | 18-04-2023

Mathematik – die universelle Wissenschaft

Wie keine andere wissenschaftliche Disziplin zeichnet sich die Mathematik durch ihre universelle Sprache und Anwendbarkeit aus. Das ermöglicht Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, schnell gemeinsam an Problemen zu arbeiten.

Ausschnitt aus dem Video "Weierstrass Institute for Applied Analysis and Stochastics"

Die Mathematik ist vielen aus der Schule nicht unbedingt als einfaches Fach bekannt. Ihre Formelsprache, Konzepte und Gedankengebäude sind komplex und folgen einer strengen Logik. Gerade deshalb ist sie schließlich eine so wertvolle Schulung für den menschlichen Geist. Doch die Mathematik ist eine durchaus zugängliche Disziplin. Denn um sie zu betreiben, reicht sehr wenig: Man benötigt nur ein Blatt Papier und einen Bleistift oder eine Tafel mit etwas Kreide, vielleicht noch ein paar gut sortierte Bücherregale und einen Internetanschluss – und schon kann man loslegen und auf höchstem Niveau Mathematik betreiben.

Wenn man das mit dem apparativen Aufwand vergleicht, den viele naturwissenschaftliche Disziplinen erfordern, dann sind die materiellen Einstiegshürden für das mathematische Arbeiten geradezu phänomenal niedrig. Außer Talent und Fleiß ist wenig vonnöten, um in der Mathematik zu reüssieren. Wenn man erst einmal die Barriere überwunden hat, den Formalismus zu verstehen, dann kann man sich sein eigenes Fachgebiet aussuchen.

Das ermöglicht es Menschen aus aller Welt, gemeinsam an mathematischen Problemen zu forschen. „Ich finde es sehr schön, dass sich die Universalität der Mathematik nicht nur in der Allgemeingültigkeit ihrer Konzepte und Aussagen widerspiegelt, sondern auch in der Internationalität unserer Arbeitsgruppen“, sagt Prof. Michael Hintermüller, Direktor des Weierstraß-Instituts für Angewandte Analysis und Stochastik (WIAS).

Mathematik verbindet international

Die Universalität der Mathematik als Wissenschaft zeigt sich also einerseits darin, dass sie die abstrakte Wissenschaft schlechthin ist. Ist ein mathematischer Beweis geführt und ein Theorem bewiesen, lässt sich diese Methode auf alle Problemstellungen und Gebiete anwenden, deren Strukturen sich durch diese mathematische Struktur abbilden lassen. So ist es schon häufig vorgekommen, dass etwa aufgrund einer physikalischen Fragestellung eine mathematische Methode entwickelt worden ist, die schließlich auch in ganz anderen Gebieten Anwendung gefunden hat – etwa in Industrie und Technik oder in der Medizin.

Auf der anderen Seite besticht die Mathematik dadurch, dass Forschende aus allen Ländern und Kulturen dieser Welt problemlos an denselben Fragen arbeiten können. „Natürlich gibt es in einigen Fällen doch gewisse materielle Hürden, etwa wenn man zur numerischen Berechnung bestimmter Gleichungssysteme einen Supercomputer benötigt“, so Hintermüller. Forschende aus Entwicklungsländern haben darauf oft keinen einfachen Zugriff. „Aber dies spielt meist keine so wichtige Rolle für unsere Arbeit“, erklärt der Mathematiker.

Sehr viel wichtiger ist es, dass man die gedanklichen Konzepte in aller begrifflichen Strenge mit Hilfe der mathematischen Symbole ausdrücken kann. „Ich habe es bei manchen Konferenzen in fernen Ländern schon erlebt, dass sich zwar nicht alle Teilnehmer gleich gut auf Englisch verständigen konnten“, erzählt Hintermüller. „Aber dann hat uns die universelle Formelsprache der Mathematik weitergeholfen, so dass man trotz der sprachlichen Schwierigkeiten dem Inhalt des Vortrags gut folgen konnte.“

Lingua franca der modernen Wissenschaft

Keine andere Wissenschaft ermöglicht eine derart strenge, logisch begründete Verständigung über Sprachgrenzen hinweg. Und wenn die formalisierten Bereiche der Naturwissenschaften – etwa die theoretische Physik und Chemie – dies zumindest teilweise ebenfalls leisten, dann eben nur, weil sie sich der Sprache der Mathematik bedienen. Damit ist die universelle Formelsprache der Mathematik so etwas wie die Lingua franca der modernen Wissenschaft – und zwar schon seit ihrem Anbeginn, wie etwa die Reflexionen eines Galileo Galilei zeigen.

Diese universelle Zugänglichkeit der Mathematik zeigt sich auch an der Zusammensetzung der Belegschaft am WIAS. Im Lauf der Jahre ist sie kontinuierlich internationaler geworden. „Wir haben heute 46 wissenschaftliche Mitarbeiter*innen aus dem Ausland. Diese kommen aus 24 Ländern und von fast allen Kontinenten“, sagt Hintermüller. „Das ist fast die Hälfte unseres wissenschaftlichen Personals.“ Und diese Entwicklung dürfte noch nicht an ihrem Ende sein.

Dabei spielt auch die Ausrichtung des Instituts eine Rolle: Denn als Institut für angewandte Mathematik ist es vor allem für Forschende interessant, die konkrete Problemstellungen lösen wollen. Die dazu notwendigen Methoden, wie sie am Weierstraß-Institut entwickelt werden, besitzen natürlich die typisch mathematische Allgemeingültigkeit. Deshalb können die Forschenden aus den verschiedenen Ländern diese fortschrittlichen Problemlösungsmethoden auch in ihrer Heimat anwenden und unterrichten, wenn sie dorthin zurückkehren. Da die Mathematik keine großen und teuren Apparate benötigt, gestaltet sich auch der Wissenstransfer einfach.

Text: Dr. Dirk Eidemüller

Der Artikel ist im Verbundjournal 119 | 2022 mit dem Schwerpunkt "30 Jahre FVB" erschienen.

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