Ein weiteres Puzzleteil im Rätsel um die Langlebigkeit der Gelbkörper bei Luchsen ist aufgedeckt. Wie Wissenschaftler*innen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) und des Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) herausfanden, spielen ausgewählte antioxidative Enzyme, insbesondere das Enzym Superoxid-Dismutase (SOD2), eine wichtige Rolle für die Funktion und die ungewöhnliche Langlebigkeit der Gelbkörper bei Luchsen. Es wird vermutet, dass SOD2 nicht nur die reaktiven Sauerstoffradikale in den Zellen entgiftet, sondern auch den programmierten Zelltod hemmt. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachmagazin Scientific Reports der Nature Group veröffentlicht.
Im Gegensatz zu anderen Katzenartigen können Eurasischer, Kanadischer und Iberischer Luchs nur einmal im Jahr innerhalb eines kurzen Empfängniszeitraums trächtig werden. Diese Begrenzung der Fortpflanzungszeit wird insbesondere bei Tieren beobachtet, die in Lebensräumen mit ausgeprägten jahreszeitlichen Änderungen – wie im Norden mit langen Wintern oder in Südeuropa mit heißen und trockenen Sommern – leben. Dadurch werden die Jungtiere zur optimalen Jahreszeit geboren, was ihre Überlebenschance erhöht. Für bedrohte Arten wie den Iberischen Luchs – auch bekannt als Pardelluchs – ist diese Einschränkung der Fortpflanzungssaison eine Herausforderung für die Zucht in menschlicher Obhut. In Spanien und Portugal wurde 2004 ein Erhaltungszuchtprogramm etabliert, welches das Überleben der Pardelluchse unterstützt. Wird eine Luchsin im Zuchtprogramm nicht trächtig oder verliert sie ihr Junges, kann sie erst ein Jahr später zur Nachzucht beitragen. Es ist daher bemerkenswert, dass in der Zwischenzeit die Nachzucht- und Haltungsbedingungen so optimiert wurden, dass aktuell jedes Jahr etwa 40 Tiere aus der Zucht zur Unterstützung der stark dezimierten Wildpopulation (wenige hundert Individuen) ausgewildert werden können.
Um zu verstehen warum die drei Luchsarten nur einmal pro Jahr trächtig werden und wie ein erneuter Zyklus herbeigeführt werden kann, müssen die Mechanismen ihrer Fortpflanzung erforscht und verstanden werden. Nach dem Eisprung bilden Eizellen Gelbkörper – Hormondrüsen auf den Eierstöcken –, die das Hormon Progesteron produzieren. Progesteron verhindert einen erneuten Eisprung, ein Prinzip, das auch bei der Antibabypille genutzt wird. Bildet sich der Gelbkörper am Ende des Zyklus oder nach der Geburt zurück, kann ein neuer Zyklus starten. Wie das Reproduktionsteam des Leibniz-IZW in früheren Arbeiten herausfand, bleiben die Gelbkörper der Luchse aber über mehrere Jahre präsent und aktiv, sie persistieren. „Wir vermuten, dass die Langlebigkeit der Gelbkörper und ihre ständige Progesteronausschüttung die besondere Saisonalität der Luchse ausmacht“, erklärt Beate Braun, Wissenschaftlerin in der Abteilung Reproduktionsbiologie des Leibniz-IZW.
Bislang war jedoch unklar wie die Langlebigkeit der Gelbkörper zustande kommt. Den Wissenschaftler*innen gelang es nun, einen Teil dieses Rätsels aufzuklären. „Wir konnten zeigen, dass antioxidative Enzyme, insbesondere die Superoxid-Dismutase (SOD2), maßgeblich an der Regulation der Gelbkörperlanglebigkeit beteiligt sein könnten“, so Beate Braun. Das Forscherteam untersuchte zehn antioxidative Enzyme in frischen und älteren, mindestens ein Jahr alten, Gelbkörpern von Pardelluchsen (Lynx pardinus) und Eurasischen Luchsen (Lynx lynx). Anhand der Genaktivität und der Muster der Präsenz der Enzyme stellten die Wissenschaftler*innen fest, welche der überprüften Enzyme in den verschiedenen Gelbkörperstadien gebildet wurden. „Die Präsenzprofile von SOD2 zeigten bemerkenswerte Unterschiede zwischen älteren Gelbkörpern der Luchse, frischen Luchs-Gelbkörpern und Gelbkörpern der Hauskatze“, erklärt Braun. SOD2 war ausschließlich in den älteren Gelbkörpern der Luchse durch eine sehr starke Präsenz und Aktivität aufgefallen, während es bei der Hauskatze in allen Gelbkörperstadien eine untergeordnete Rolle spielt. „Wir vermuten, dass SOD2 in den älteren, also langlebigen/persistierenden Gelbkörpern von Luchsen einerseits klassisch antioxidativ wirkt, indem es die Zellen von giftigen reaktiven Sauerstoffradikalen befreit“, sagt Katarina Jewgenow, Leiterin der Abteilung Reproduktionsbiologie. „Dafür produziert SOD2 Wasserstoffperoxid, welches anschließend von weiteren Enzymen zu Wasser abgebaut wird. Andererseits kann das produzierte Wasserstoffperoxid auch als Signalmolekül fungieren, welches den Gelbkörper vor dem programmierten Zelltod schützt und so sein mehrjähriges Überleben sichert“, ergänzt Jewgenow.
Diese neuen Erkenntnisse tragen zum besseren Verständnis der Fortpflanzung von Luchsen bei und liefern eine wichtige Grundlage für weitere Untersuchungen zur Regulation der Gelbkörperentwicklung und -langlebigkeit. Ziel ist es, die komplexen Mechanismen der Fortpflanzung der Luchse Stück für Stück aufzuklären und die Erhaltungszucht von Luchsen in menschlicher Obhut durch den Einsatz von assistierten Fortpflanzungstechniken, wie Ovulationsinduktion und künstliche Besamung, nachhaltig zu unterstützen.