Unter dem Einsatz von fortschrittlichen Technologien der assistierten Reproduktion gelang es dem Team, nach der 10. Entnahme von unreifen Eizellen (Oozyten) des Nördlichen Breitmaulnashornweibchens Fatu, fünf weitere Embryos zu produzieren. Insgesamt konnte das Forschungsteam bereits 22 Embryos erstellen. Die Spermien für die Befruchtung kamen von zwei unterschiedlichen Bullen. Dies nährt die Hoffnung, dass es gelingen wird, neue Nachkommen zu erzeugen, und einem der wichtigsten Landschaftsarchitekten Zentralafrikas eine neue Zukunft zu geben. Gleichzeitig legt das Konsortium höchsten Wert darauf, das Leben und das Wohlergehen der einzelnen Tiere zu respektieren. Regelmäßige veterinärmedizinische und ethische Beurteilungen der Eizellenentnahme zeigen, dass Fatu die Verfahren gut verträgt und keine Anzeichen für gesundheitliche Beeinträchtigungen zeigt.
Die 10. Eizellenentnahme bei Nördlichen Breitmaulnashörnern (NWR) wurde von einem Team aus Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), der Ol Pejeta Conservancy, des Safari Park Dvůr Králové, des Kenya Wildlife Service (KWS) und des Wildlife Research and Training Institute (WRTI) am 28. Juli 2022 in der Ol Pejeta Conservancy in Kenia durchgeführt. Das BioRescue-Team konnte 23 Eizellen von Fatu, dem jüngeren der beiden verbleibenden NWR-Weibchen, sammeln. Die Eizellentnahme von Najin, Fatus Mutter, wurde 2021 nach einer eingehenden ethischen Risikobewertung eingestellt. Die 23 Eizellen wurden sofort per Luftfracht nach Italien in das Labor des Konsortium-Mitgliedes Avantea in Cremona transportiert. Nach der Reifung wurden sieben der Eizellen mit aufgetautem Sperma des verstorbenen NWR-Männchens Angalifu befruchtet. Schließlich wurden fünf Embryos von Fatu erfolgreich erzeugt und in flüssigem Stickstoff eingelagert.
Von der 9. Eizellentnahme, die am 24. April 2022 durchgeführt wurde, stammen 16 Eizellen, von denen sich drei zu Embryos entwickelten. Auch hier wurden die Spermien des bereits verstorbenen Männchens Angalifu verwendet. Durch die erfolgreichen Ergebnisse beider Eingriffe erhöht sich die Gesamtzahl der erzeugten NWR-Embryos aktuell auf 22 Stück. Die Eizellen dieser Embryos stammen alle von dem Weibchen Fatu, wobei die Hälfte der Embryos mit Spermien von dem bereits verstorbenen Männchen Suni erzeugt wurden, das im Safaripark Dvůr Králové, Tschechische Republik, geboren wurde, und die andere Hälfte mit Spermien von Angalifu, der im San Diego Zoo Safari Park, USA, lebte.
Sobald das Wissenschaftsteam das Protokoll für den Embryotransfer in Leihmuttertiere des Südlichen Breitmaulnashorns (SWR) optimiert hat, werden diese 22 Embryos den Grundstein für eine neue NWR-Population bilden, die schließlich ihre ökologische Rolle als wichtige Landschaftsarchitekten in Zentralafrika wieder einnehmen kann.
Um geeignete Bedingungen für einen erfolgreichen Embryotransfer zu schaffen, beobachtet das Team die Interaktionen des sterilisierten SWR-Bullen Owuan mit den möglichen Leihmuttertieren. Der Bulle kann die Empfängnisbereitschaft dieser Tiere anzeigen. Sobald die Bedingungen es zulassen, wird das BioRescue-Team versuchen, einen Embryotransfer durchzuführen - zunächst mit SWR-Embryos, um zu demonstrieren, dass das gesamte Verfahren optimal funktioniert, bevor das Team die äußerst wertvollen NWR-Embryos verwendet. Das BioRescue-Team prüft derzeit, ob die Aufnahme weiterer SWR-Weibchen in das Reproduktionsprogramm die Chance auf einen ersten erfolgreichen Embryotransfer erhöhen kann.
ZITATE
Thomas Hildebrandt, BioRescue-Projektleiter und Leiter der Abteilung Reproduktionsmanagement am Leibniz-IZW: „In 2019, einen Tag vor unserer weltweit ersten Eizellentnahme bei Nördlichen Breitmaulnashörnern, habe ich gesagt - morgen werden wir die Welt verändern. Heute kann ich sagen, wir haben es geschafft! Die fünf neuen NWR-Embryos sind ein neuer Rekord bei unserer Mission, die NWRs vor dem Aussterben zu retten. Insgesamt ist es uns gelungen, 22 reine NWR-Embryos aus 158 Eizellen (148 von Fatu und 10 von Nájin) zu erzeugen und im flüssigen Stickstoff zu lagern. Unser nächstes Ziel ist die erfolgreiche Erzeugung lebensfähiger Nachkommen durch die Erfindung und Anwendung neuer wissenschaftlicher Embryotransfermethoden und -techniken. Mit der bahnbrechenden wissenschaftlichen Arbeit, die wir hier leisten, legen wir den Grundstein für künftige Initiativen zur Rettung von Wildtieren."
Jan Stejskal, Direktor für internationale Projekte im Safaripark Dvůr Králové: „Die Gewinnung von 22 Embryos des Nördlichen Breitmaulnashorns in drei Jahren ist eine fantastische Leistung. Wir müssen jedoch die Produktion von NWR-Embryos fortsetzen, denn mehr Embryos bedeuten einfach eine höhere Chance, dass in Zukunft ein NWR-Baby geboren wird. Dank der Zusammenarbeit mit der European Association of Zoos and Aquaria stehen uns Embryos des Südlichen Breitmaulnashorns für unsere nächsten Embryotransfervorhaben zur Verfügung. Obwohl wir gerne so bald wie möglich ein NWR-Kalb hätten, müssen wir vorsichtig vorgehen und wollen die einzigartigen NWR-Embryos erst verwenden, nachdem wir mit den leichter zugänglichen SWR-Embryos eine Schwangerschaft erreicht haben."
Cesare Galli, Direktor von Avantea: „Die neuen Ergebnisse und die kontinuierlichen Erfolge der vorangegangenen Einsätze zeigen, dass wir einen bemerkenswert zuverlässigen Prozess entwickelt haben, von der Entnahme der Eizellen über den Transport bis hin zur Reifung, Befruchtung, Embryoerzeugung und Kryokonservierung. Wenn wir diese Routinen beibehalten, können wir in den kommenden drei Jahren mit einer ähnlichen Anzahl von entnommenen Eizellen und erzeugten Embryos rechnen."
Frank Göritz, leitender Tierarzt des Leibniz-IZW, und Stephen Ngulu, leitender Tierarzt der Ol Pejeta Conservancy: „Während der Eizellenentnahme überwachen wir genaustens alle Vitalparameter von Fatu und stellen sicher, dass unser Eingriff keine Schäden verursacht. Fatu zeigt keine Anzeichen von Reproduktionsmüdigkeit und spricht weiterhin gut auf die Narkose und das Hormonprotokoll an. Nach der jüngsten Eizellentnahme war Fatu sofort nach der Beendigung der Narkose auf den Beinen und begann einige Stunden später wieder normal zu grasen."
Susanne Holtze, Wissenschaftlerin am Leibniz-IZW: „Die neuen Ergebnisse sind beruhigend und vielversprechend. Wir sehen keinerlei Anzeichen für gesundheitliche Beeinträchtigungen durch die wiederholten Eizellentnahmen bei Fatu. Die Ergebnisse der Prozeduren sind konstant, aber die letzte Entnahme mit 23 Eizellen war die erfolgreichste in Bezug auf die Anzahl der entnommenen Eizellen, die unser Team jemals bei Nördlichen Breitmaulnashörnern durchgeführt hat."
Barbara de Mori, Leiterin des Ethiklabors für Veterinärmedizin, Naturschutz und Tierschutz an der Universität Padua: „Bei unserem Forschungsauftrag ist es von entscheidender Bedeutung, die sorgfältige Überwachung des Wohlergehens der beteiligten Tiere in Einklang mit den Vorteilen der Erhaltung zu bringen. Ähnlich wie bei unserer Entscheidung, Najin aus dem Programm ausscheiden zu lassen - aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Tierschutzrisiken und Erhaltungsvorteilen - sind wir sehr sicher, dass bei Fatu die Kombination aus äußerst wertvollem Ergebnis für die Erhaltung der Art und geringen Risiken negativer gesundheitlicher Auswirkungen für sie als Einzeltier die Fortsetzung der Eizellensammlungen rechtfertigt."
Dr. Patrick Omondi, Direktor/CEO, Wildlife Research & Training Institute: „Wir freuen uns über die bisherigen Meilensteine des Projekts. Das Projekt zeigt den Erfolg von Partnerschaften und Kooperationen zwischen verschiedenen Institutionen und Disziplinen, um diese ikonische Art vor dem Aussterben zu bewahren. Die Entnahme von 23 Eizellen während des 10. Eizellenentnahme und die Erzeugung von fünf reinen nördlichen Breitmaulnashorn-Embryos zeigt die kontinuierliche Optimierung der Feld- und Laborverfahren."
Brig. (Rtd) J.M. Waweru, Generaldirektor des Kenya Wildlife Service (KWS): „Als staatliche Behörde in Kenia, die mit der Erhaltung und dem Management von Wildtieren und ihren Lebensräumen beauftragt ist, und als Partner im BioRescue-Konsortium freuen wir uns über die Erfolge bei den Bemühungen um die Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns mit bisher 22 entwickelten Embryos. Wir werden diese Initiative weiterhin nachhaltig unterstützen, um sicherzustellen, dass die Naturschutzforschungsbemühungen erfolgreich sind, und wir freuen uns darauf, dass das erste Nördliche Breitmaulnashornkalb nach einer langen Zeit der Ungewissheit auf kenianischem Boden geboren wird, um die Hoffnung auf die Rettung dieser Art vor dem drohenden Aussterben wieder aufleben zu lassen".