Artikel | IKZ | 12-07-2022

Chips für den Quantensprung

Yujia Liu forscht als Doktorandin am Leibniz-Institut für Kristallzüchtung (IKZ) an Halbleitermaterialien für Quantencomputer.

Yujia Liu | Foto: Tina Merkau

0 oder 1. An oder Aus. Das ist das Prinzip, auf dem bis heute jeder Computer beruht. Informationen werden in binäre Codes zerlegt, um damit rechnen zu können. Doch egal, ob es um das autonome Fahren geht, die datenreiche Medizin, Genomics oder Proteomics in der Forschung, Robotik oder die Suche nach neuen Arzneimitteln: Die Aufgaben werden immer komplexer, die Datenmengen immer gewaltiger, und sie müssen blitzschnell verarbeitet werden können.

Quantencomputer, die die Gesetze der modernen Physik ausnutzen, sollen dies bald leisten können. Statt in Bits (0 oder 1) werden sie Informationen in Quantenbits, sogenannten Qubits, speichern. „Ein Qubit ist in der Lage, für eine gewisse Zeit gleichzeitig den Zustand Null und Eins einzunehmen und unendlich viele Zustände, die dazwischenliegen“, erklärt Yujia Liu, Doktorandin in der Nachwuchsforschungsgruppe „Silizium-Germanium basierte Quantenmaterialien und Heterostrukturen“ von Dr. Kevin-Peter Gradwohl. „Erst bei einer Messung legt es sich für einen konkreten Zustand fest.“

Diese Fähigkeit macht Quantencomputer prinzipiell sehr viel effizienter und schon mit wenigen Qubits lassen sich enorme Rechenleistungen erzielen. Aber selbst wenn ein Qubit nur zwei Zustände gleichzeitig einnehmen könnte, verdoppelt jedes weitere die Anzahl der gleichzeitig darstellbaren Zustände: Bei drei Qubits wären es acht. Bei 300 (was 2300 entspricht) bereits sagenhafte 20370359763344860862684456884093781 61051468393665 936250636140449354381299763336706183397376!

Qubits können außerdem quantenverschränkt sein, also miteinander verbunden. Was bedeutet, wenn ein Qubit seinen Zustand ändert, ändert sich auch der aller anderen, die mit ihm verschränkt sind. Und das instantan! Qubits lassen sich mit verschiedenen Methoden erzeugen: zum Beispiel indem man Elektronen innerhalb Halbleiterschichten in elektrischen Feldern festhält und mittels Mikrowellen die Zustandswechsel hervorruft.

Entscheidend dafür ist das passende Chip-Material – und daran forscht Yujia Liu. Siliziumwafer für herkömmliche Computerchips werden nach dem Czochralski-Verfahren aus der Schmelze gezogen. Für Quantencomputer kann man die Siliziumtechnologie ebenfalls einsetzen. „Wir verwenden durch chemische Gasphasenabscheidung hergestellte Silizium-Germanium-Substrate, um bei Temperaturen zwischen 300 bis 700 °C mittels Molekularstrahl-Epitaxie ultrareine 28Silizium- oder 28Silizium-Germanium-Schichten darauf abzuscheiden.“ Wenn 28Siliziumatome auf die heiße Oberfläche treffen, wachsen extrem dünne, gleichmäßige Schichten von nur wenigen Hundert Nanometern Dicke auf dem Substrat auf. „Die Schichten müssen extrem rein sein, damit sich später im Chip die Elektronen ungehindert bewegen können. Verunreinigungen würden die Beweglichkeit der Elektronen stören“, erklärt Liu.

Die 28-Jährige Chinesin stammt aus der der Provinz Sichuan, östlich des tibetischen Hochplateaus, einer Region, die hierzulande vor allem wegen ihrer sehr scharfen Küche bekannt ist. Zunächst studierte sie „Biochemical Engineering“ an der East China University in Shanghai. Nach dem Bachelor wechselte sie zum Masterstudium an die Universität Ulm und schrieb ihre Abschlussarbeit am Institut für Quantenmaterie. „Mich hat immer schon interessiert, aus welchem Stoff das Leben besteht. Zwar kann die Biochemie unser Leben verändern – aber es geht sehr viel schneller mit neuen Materialien! Das sieht man am Smartphone, was wir inzwischen alle täglich benutzen.“ Überrascht hat sie in Ulm, wie viel die Studierenden in Deutschland selbst organisieren müssen. Nach einem „Zwischenstopp" am Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik, wo sie dünne Aluminiumnitrit-Filme mittels Hydridgasphasen-Epitaxie (HVPE) wachsen ließ und charakterisierte, kam Yujia Liu im Oktober 2019 zur Promotion an das IKZ.

Was reizt sie an ihrem Forschungsthema? „Es fasziniert mich, was man alles mit Silizium machen kann!“ Aber da ist noch etwas Anderes, was über das Material hinausgeht. „Während sich gesellschaftliche, politische oder juristische Normen relativ schnell verändern können, gibt es in den Naturwissenschaften feste Regeln: Man kann gut definieren, wer hat Recht und wer nicht. Und man lernt immer etwas Neues dazu.“ Yujia Lius Doktorarbeit neigt sich bald dem Ende zu. Welchen Weg sie danach einschlagen wird, weiß sie noch nicht. „Akademie oder Industrie? Ich bin für beides offen.“

Leibniz-Institut für Kristallzüchtung (IKZ)
Yujia Liu
Tel. 030 6392 3055
E-Mail yujia.liuikz-berlin.de

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