Pressemitteilung | MBI | 21-08-2015

Dem Geheimnis der organischen Materie im Weltall auf der Spur

Seit mehreren Jahren gibt es starke Indizien dafür, dass sich bereits in der Frühzeit des Universums gewaltige Mengen komplexer organischer Verbindungen in den interstellaren Wolken gebildet haben. Dass es sich tatsächlich um die vermuteten Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe handeln könnte, wird jetzt von Experimenten gestützt, die am Max-Born-Institut (MBI) in Berlin durchgeführt wurden.

Dem Geheimnis der organischen Materie im Weltall auf der Spur

Schematische Darstellung der XUV-induzierte Dynamik in PAH-Molekülen. | Abb.: MBI

 

Seit mehreren Jahren gibt es starke Indizien dafür, dass sich bereits in

der Frühzeit des Universums gewaltige Mengen 

komplexer organischer Verbindungen in den interstellaren Wolken gebildet

haben. Darauf deuten etwa 400 diffuse Absorptionsbanden (DIBs)  hin, die Astronomen im Licht aus solchen

Wolken nachweisen konnten. Allerdings ist die genaue Zuordnung der DIBs zu

konkreten Verbindungen bislang kaum möglich. Dass es sich tatsächlich um die

vermuteten Polyzyklischen

Aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK/PAH) handeln könnte, wird jetzt von

Experimenten gestützt, die am Max-Born-Institut (MBI)  in Berlin gemeinsam mit internationalen

Partnern durchgeführt wurden. Die Ergebnisse wurden in Nature Communications

veröffentlich.

Mit Hilfe

von ultraschnellen UV-Lasern konnten die Wissenschaftler die Dynamik der hoch

angeregten Molekülzustände entschlüsseln. Unter den Kohlenwasserstoffen, die

mögliche Auslöser der Absorptionsbanden sind, galten die Polyzyklischen

Aromatischen Kohlenwasserstoffe als besonders vielversprechend. Die Anwesenheit

von PAK/PAH-Molekülen wurde zuvor in vielen astronomischen Objekten abgeleitet,

beispielsweise in interstellare Materiewolken unserer Milchstraße, aber sogar

in zehn Milliarden Jahre alter Materie aus der Frühzeit des Universums. Unter

Astronomen gab es allerdings auch Zweifel an den Hypothesen, da die Lebensdauer

der ungewöhnlichen Molekülzustände nicht bekannt war. Dafür gelang jetzt den

MBI-Forschern in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität Lyon,

unterstützt von theoretischen Berechnungen von Wissenschaftlern an den

Universitäten Leiden, Heidelberg und Hyderabad, der Nachweis, dass die

Lebensdauer der elektronischen Zustände von kleinen bis mittelgroßen PAHs mit

den Linienbreiten übereinstimmen, die in den diffuse Absorptionsbanden beobachtet

werden.

In den Experimenten wurde eine Reihe von kleinen bis mittelgroßen

PAH-Molekülen (Naphthalin, Anthracen, Pyren und Tetracen, die jeweils mehrere

kondensierte aromatische Ringe enthalten) mit einem ultrakurzen

extrem-ultravioletten Laserpuls (XUV) ionisiert. Die Absorption eines

XUV-Photons führte nicht nur zur Entfernung eines der Elektronen, sondern

darüber hinaus zur elektronischen Anregung des dadurch entstandenen positiv

geladenen Molekül-Ions. Die Lebensdauer dieser angeregten kationischen

elektronischen Zustände wurde mit Hilfe eines zeitverzögerten

Infrarot-Laserimpulses gemessen.

Sobald ein Elektron aus dem Molekül entfernt worden ist, ist die

elektronische Anregung am höchsten, so dass nur ein oder wenige

Infrarot-Photonen benötigt werden, um ein zweites Elektron zu entfernen.

Bereits kurze Zeit später „entspannt“ sich das Ion, es werden nun mehr

IR-Photonen benötigt, um ein zweites Elektron herauszuschlagen. Mit anderen

Worten, die Überwachung der Bildung von zweifach geladenen Ionen als Funktion

der Verzögerungszeit zwischen den Laserimpulsen XUV und IR erlaubt die

Messung  der Lebensdauer der

verschiedenen Zustände. Durch die Messungen, die durch theoretische

High-Level-Berechnungen gestützt wurden, konnte gezeigt werden, dass die Lebenszeit

der organischen PAH-Ionen im Bereich von einigen  10 Femtosekunden damit übereinstimmt, was

auch in den diffusen Absorptionsbanden (DIBs) aus dem Weltall gemessen wird.

Die Experimente haben Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der

Attosekunden-Physik. Denn auch in der Chemie ist eine genaue Kenntnis der  Ladungswanderung von großem Interesse,

d.h.,  ultraschnelle Bewegungen eines

Elektrons oder eines Lochs durch eine Molekülstruktur. Sie erfolgen in der

unvorstellbar kurzen Zeit von Attosekunden (ein Millardstel

einer Millardstel Sekunde) bis zu wenigen Femtosekunden (10-15 Sekunden). Durch die kontrollierte

Ladungswanderung könnten völlig neue Möglichkeiten zur Steuerung von chemischen

Reaktionen entstehen, ein Ziel, das so alt ist wie die chemische Forschung

selbst. Erste Hinweise darauf, dass Ladungswanderungen in einer Zeitskala von

Attosekunden bis zu wenigen Femtosekunden kontrolliert werden können, legten

Forschern der Universität Mailand im vergangenen Jahr vor.

Die PAK/PAH-Moleküle, die in den Experimenten am MBI untersucht wurden,

sind die bislang größten, auf die die ultraschnelle

XUV-IR-Pump-Probe-Spektroskopie angewendet wurde. Weitere Experimente dazu sind

in Vorbereitung.

 

Nature Communications  6,

DOI:10.1038/ncomms8909

XUV excitation followed by ultrafast non-adiabatic relaxation in PAH

molecules as a femto-astrochemistry experiment; A. Marciniak, V. Despré, T.

Barillot, A. Rouzée, M.C.E. Galbraith, J. Klei, C.-H. Yang, C.T.L. Smeenk, V.

Loriot, S. Nagaprasad Reddy, A.G.G.M.

Tielens, S. Mahapatra, A. I. Kuleff, M.J.J. Vrakking & F. Lépine

http://www.nature.com/ncomms/2015/150813/ncomms8909/abs/ncomms8909.htmlhttp://www.nature.com/ncomms/2015/150813/ncomms8909/abs/ncomms8909.html

 

Kontakt:

Prof. Marc Vrakking

Max-Born-Institut (MBI)

Max-Born-Straße 2A

12489 Berlin, Germany

mailto:marc.vrakkingmbi-berlin.de

Tel. +49-30-6392-1200

 

Abb .: Schematische Darstellung des Experiments.

(a) Schematische Darstellung der XUV-induzierte Dynamik in PAH-Molekülen. Die

angeregten Zustände zeigen sich in der Valenzschale des Kations durch eine von

zwei Möglichkeiten: die Bildung einer Einzellochkonfiguration oder die Bildung

einer Zwei-Loch-Einzelpartikel-Konfiguration, die mit steigenden Energien erfolgt

(links).  IP steht dabei für das

Ionisationspotential. Das Kation kann durch den IR-Prüflaser ionisiert werden,

vorausgesetzt, dass die nicht-adiabatische Entspannung noch nicht eingetreten

ist (Mitte). Nach der Entspannung ist es nicht mehr möglich, das Kation mit dem

IR-Prüflaser zu ionisieren (rechts).

(b) An Anthracen  gemessene zweifarbige

XUV-IR-Ionensignale als Funktion des detektierten Masse-zu-Ladung-Verhältnisses

und der XUV-IR-Verzögerung. Die  Nur-XUV-

und die IR-Signale wurden subtrahiert. Die XUV-Pump- und die

IR-Prüflaser-Impulse überlappen sich bei einer Verzögerung von null (schwarz

gestrichelte Linie). Eine Rotfärbung entspricht einem Signalanstieg, während

blaue Farbe Schwund anzeigt. Für positive XUV-IR-Verzögerungen wurde eine sehr

schnelle Dynamik für zweifach geladene Anthracen- Ionen  (A2+, m/q=89) beobachtet. Wie im Text

erläutert, gibt  die Messung  eine nicht-adiabatische Entspannung im

Anthracen-Kation (A+) wider.

Die im ersten Fragment (A-C2H2+)

beobachtete Dynamik wird in diesem Artikel nicht diskutiert.

Abb.: MBI