Pressemitteilung | MBI | 16-10-2015

Energieaustausch in hochionisierten Nanopartikeln

Angeregte Atome zerfallen oft durch die Aussendung von Strahlung, ein Prozess, der als Fluoreszenz bekannt ist. Ein anderes Szenario kann auftreten, wenn ein angeregtes Atom ...

Energieaustausch in hochionisierten Nanopartikeln

BU unter der Pressemitteilung.|Abb. MBI, Schütte

 

Angeregte Atome zerfallen oft durch die Aussendung von Strahlung, ein Prozess, der als Fluoreszenz bekannt ist. Ein anderes Szenario kann auftreten, wenn ein angeregtes Atom von anderen angeregten Atomen, Ionen und Elektronen umgeben ist. Solch eine Situation wird erreicht, wenn ein intensiver Laserpuls mit einem Nanoskalen-Objekt wechselwirkt. In diesem Fall kann ein angeregtes Atom zerfallen, indem es die Überschussenergie auf ein anderes Partikel in der Umgebung überträgt. Wissenschaftler des Max-Born-Instituts in Berlin, der Universität Rostock sowie der Universität Heidelberg haben nun Beweise für solch einen Energieaustausch gefunden, der zwischen Elektronen stattfindet, die in einem Nanocluster gefangen sind. Sie haben einen bislang unentdeckten Peak im Elektronenspektrum beobachtet, der nach der Ionisation eines Nanoclusters durch einen nahinfraroten (NIR) Laserpuls auftritt. Die Forscher führen dieses Signal auf die Relaxation eines Elektrons aus einem Rydberg-Zustand und dem gleichzeitigen Übertragen der Überschussenergie auf ein zweites Elektron, das dem Cluster entfliehen kann, zurück. Die erzielten Ergebnisse, die jetzt in Nature Communications veröffentlicht wurden, sind von universeller Natur. Es wird erwartet, dass sie eine wichtige Rolle in anderen Nanosystemen wie z.B. Biomolekülen spielen.

Interatomarer Coulombzerfall (bekannt als ICD) beschreibt die Relaxation eines angeregten Atoms durch das Übertragen der Überschussenergie auf ein benachbartes Atom, das ionisiert wird. Dieser Effekt hat in den vergangenen Jahren beachtliche Aufmerksamkeit erregt, da er eine Quelle von Strahlenschäden in biologischen Systemen darstellen könnte. Gleichzeitig wurde vorgeschlagen, ICD für neuartige Krebs-Therapien einzusetzen. Bislang wurde ICD beobachtet, nachdem Cluster mit hochenergetischen Photonen im extrem-ultravioletten (XUV) oder Röntgen-Bereich ionisiert oder angeregt wurden. Im Gegensatz dazu war nicht erwartet worden, dass ICD duch niedrigenergetische Photonen im NIR-Bereich ausgelöst werden könnte.

Die Ionisation eines Clusters mit einem intensiven NIR-Laserpuls leitet hochkomplexe Dynamiken ein. Ein sogenanntes Nanoplasma formiert sich, das aus einer großen Zahl an Elektronen und Ionen besteht, die miteinander wechselwirken. Es wurde beobachtet, dass die Rekombination von Elektronen und Ionen zur Erzeugung von Rydberg-Atomen und -Ionen führt, die durch Fluoreszenz zerfallen können. In einem stark ionisierten Cluster können Rydberg-Atome jedoch auch durch korrelierten elektronischen Zerfall (im Englischen 'correlated electronic decay' (CED)) relaxieren, ähnlich dem ICD, d.h. ohne die Aussendung von Strahlung. CED bedeutet, dass ein Elektron von einem Rydberg-Zustand in den Grundzustand relaxieren und die Überschussenergie auf ein zweites Elektron übertragen kann, welches sich entweder im selben Atom, im Nanoplasma oder in einem Rydberg-Zustand eines nahegelegenen Atoms befindet (siehe Abb. 1). Mithilfe dieser zusätzlichen Energie kann das zweite Elektron dem Cluster entfliehen. „Auch wenn man CED in Nanoplasmen grundsätzlich erwarten kann, so war der Effekt weder experimentell beobachtet noch durch theoretische Modelle vorhergesagt worden”, erklärt Dr. Bernd Schütte vom Max-Born-Institut. „Die große Herausforderung im Experiment bestand darin, geeignete Bedingungen zu finden, die es erlauben, korrelierten elektronischen Zerfall direkt beobachten zu können.”

Erst kürzlich wurden die Forscher für ihre Suche belohnt und haben einen Beweis für CED im Elektronenspektrum von Argon-Clustern gefunden, die von intensiven NIR-Laserpulsen ionisiert wurden. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in Nature Communications veröffentlicht. Das Auftauchen eines Peaks im Energiespektrum von emittierten Elektronen in der Nähe des atomaren Ionisationspotentials (siehe Abb. 2) konnte als Charakteristikum eines elektronischen Zerfall-Prozesses identifiziert werden, der gebundene atomare Zustände einschließt. Überraschenderweise fanden die Wissenschaftler heraus, dass der Energieaustausch zwischen Elektronen fast 100 Pikosekunden, nachdem der Cluster ionisiert wird, stattfindet. Dies ist viel langsamer als für typische ICD-Prozesse, die auf Zeitskalen von 100 Femtosekunden ablaufen.

Unterstützung für diese Erklärung wurde durch das Modellieren der komplexen Dynamiken, die sich im Cluster abspielen, durch die Gruppe von Prof. Thomas Fennel von der Universität Rostock erreicht. „Der knifflige Aspekt des Experiments ist, dass der geladene und expandierende Cluster die Elektronen, die durch CED emittiert werden, stört. Elektronen, die in frühen Expansionsphasen ausgesendet wurden, werden ihre spezifischen Charakteristika, die von den gebundenen Zuständen herrühren, verloren haben” , erklärt Fennel. Der ICD-Experte Dr. Alexander Kuleff von der Universität Heidelberg fügt hinzu: „Unsere Rechnungen zeigen, dass ICD zwischen niedrig angeregten Argon-Atomen auf einer Zeitskala von 200 Femtosekunden stattfindet. Allerdings verlangsamt sich der Prozess deutlich, wenn höhere Rydberg-Zustände involviert sind. Dies ist in guter Übereinstimmung mit dem Experiment, welches nahelegt, dass die beobachteten Elektronen tatsächlich von höheren Rydberg-Orbitalen emittiert werden.”

Obwohl die ersten Experimente an Clustern mit intensiven NIR-Laserpulsen bereits in den 1990er Jahren durchgeführt wurden, hat es eine lange Zeit gebraucht, um korrelierten elektronischen Zerfall in expandierenden Nanoplasmen zum ersten Mal zu beobachten. Ein Grund, warum dieser Effekt nicht bereits in vorherigen Experimenten enthüllt werden konnte, ist, dass er nur in einem sehr kleinen Bereich von Laser-Intensitäten und Cluster-Größen direkt beobachtet werden kann. Nachdem die Forscher die involvierten Dynamiken verstanden hatten, konnten sie jedoch zeigen, dass CED von universaler Bedeutung ist. Der Prozess wurde in allen untersuchten Clustern beobachtet, einschließlich atomaren Krypton- und Xenon-Clustern sowie molekularen Sauerstoff-Clustern. „CED findet statt, sobald ein Nanoplasma im Cluster erzeugt wird und angeregte atomare Zustände durch Rekombination bevölkert werden”, erklärt Dr. Arnaud Rouzée vom Max-Born-Institut. Er fügt hinzu: „Man kann daher erwarten, dass CED auch wichtig für Experimente ist, in denen intensive XUV- und Röntgen-Laserpulse mit Nanoskalen-Objekten wechselwirken, einschließlich Biomolekülen.” Weitere Experimente sind in Vorbereitung, um die allgemeine Bedeutung von korreliertem elektronischen Zerfall in hoch angeregten komplexen Systemen aufzuklären.

Originalpublikation: Nature Communications 6, DOI:10.1038/ncomms9596
"Observation of correlated electronic decay in expanding clusters triggered by near-infrared fields"

Vollständige Zitation:
Bernd Schütte, Mathias Arbeiter, Thomas Fennel, Ghazal Jabbari, Alexander I. Kuleff, Marc J. J. Vrakking and Arnaud Rouzée, "Observation of correlated electronic decay in expanding clusters triggered by near-infrared fields", Nature Communications 6, 8596 (2015)

 

Abb. 1: Abb. 1: (a) Korrelierter elektronischer Zerfall in Clustern: Ein Elektron in einem Rydberg-Zustand kann in den Grundzustand relaxieren und dabei die Überschussenergie (a) auf ein zweites Elektron in einem Rydberg-Zustand desselben Atoms übertragen, (b) auf ein quasifreies Elektron in der Umgebung, oder (c) auf ein Elektron, das einen Rydberg-Zustand in einem zweiten Atom besetzt.

Abb. 2: Gemessenes Elektronenspektrum nach der Ionsiation von Argon-Clustern durch intensive NIR-Pulse. Die graue Fläche stelllt thermische Emission von Elektronen dar. Zusätzlich taucht eine Peak-Struktur (blaue Fläche) mit einem markanten Peak in der Nähe des Ionisationspotentials von atomaren Argon (15.76 eV) auf. Diese Struktur kann durch korrelierten elektronischen Zerfall erklärt werden.

 

Kontakt:

Dr. Bernd Schütte
Prof. Marc J. J. Vrakking
Dr. Arnaud Rouzée