Pressemitteilung | IGB | 19-07-2022

Invasive Fischart: Erfolgreich durch Spermien-Parasitismus

Ungewöhnliches Genom des Giebels entschlüsselt

Nun ist das gesamte Genom des Giebels entschlüsselt, der sich über Jungfernzeugung vermehrt. | Illustration: Fabian Oswald

Der Giebel gilt als eine der erfolgreichsten invasiven Fischarten in Europa. Vor allem seine Fähigkeit, sich ungeschlechtlich zu vermehren, verschafft ihm einen großen Vorteil gegenüber konkurrierenden Fischen. Ein internationales Forschungsteam hat nun erstmals das vollständige Genom des Giebels beschrieben. Dadurch lässt sich auch seine ausgefallene Fortpflanzungsmethode wesentlich besser verstehen und das Naturschutzmanagement verbessern. Die Studie unter Leitung von Dunja Lamatsch vom Forschungsinstitut für Limnologie, Mondsee, der Universität Innsbruck und Matthias Stöck vom IGB wurde im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.

Der aus Asien stammende Giebel (Carassius gibelio) ist in Europa eine invasive Art. Er gilt als naher Verwandter des Goldfischs und konkurriert mit der gefährdeten, heimischen Karausche um den gleichen Lebensraum. Während Goldfisch und Karausche sich allerdings geschlechtlich vermehren, hat der Giebel einen großen evolutionären Vorteil: Die weiblichen Fische können sich die zeitintensive Partnersuche sparen.

Spermienabhängige Jungfernzeugung

Stattdessen nutzen Giebelweibchen die Spermien des Karauschen-Männchens, oder anderer Karpfenfische – allerdings nicht zur Übertragung von Erbmaterial sondern nur, um die Embryonen-Entwicklung in Gang zu setzen. Dazu mischen sie sich unter einen Schwarm und lassen ihre abgelegten Eier von den fremden Männchen mitbefruchten. Dies nennt man Spermien-Parasitismus.

Die “gekaperten” Spermien regen die Eizelle des Giebels zur Teilung an. Anschließend wird das Erbmaterial des fremden Männchens in der Eizelle abgebaut. Man spricht von einer spermienabhängigen Parthenogenese, oder Jungfernzeugung. Alle so produzierten Nachkommen sind weibliche Klone des Giebelweibchens. Die meisten Giebelbestände sind deswegen ausschließlich weiblich, Männchen kommen kaum vor.

Einem internationales Forschungsteam ist es nun gelungen, das Genom des Giebels vollständig entschlüsseln. Das hilft, den Mechanismus der unisexuellen Vermehrung besser zu verstehen. „Die unisexuelle, also rein weibliche Fortpflanzung ermöglicht eine rasche Besiedlung von neuen Lebensräumen und bietet invasiven Arten einen großen Vorteil gegenüber den ursprünglich vorkommenden Konkurrenten“, erklärt Dunja Lamatsch vom Forschungsinstitut für Limnologie, Mondsee, der Universität Innsbruck. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung der Mechanismen unisexueller Fortpflanzung bei Wasserlebewesen.

„Die hochauflösende Genom-Entschlüsselung erlaubt auch, die genetische Geschlechtsbestimmung künftig zu studieren. Damit eröffnen sich neue Wege zum Verständnis und Naturschutzmanagement dieser ökologisch problematischen Art“, sagt der Evolutionsbiologe, Privatdozent Dr. Matthias Stöck, vom IGB

Genom-Vervielfachung führt zu neuen Arten

Die gesamte Erbinformation eines Organismus, das Genom, ist in verschiedene Chromosomensätze aufgeteilt. Tiere, die sich geschlechtlich fortpflanzen, haben meistens einen doppelten (diploiden) Chromosomensatz. Zur Fortpflanzung werden bei Weibchen und Männchen die Chromosomen in den Keimzellen aufgeteilt (Meiose) und jeweils nur ein einfacher (haploider) Chromosomensatz weitergegeben. Durch die Verschmelzung von haploider Eizelle und haploidem Spermium entsteht wieder ein diploider Organismus.

Allerdings entstehen durch Unfälle bei der Meiose oder Kreuzung verwandter Arten selten auch Organismen, die mehr als zwei Chromosomensätze haben (Polyploidie). Vögel und Säugetiere, auf die das zutrifft, sind meist nicht lebensfähig; Reptilien, Fische und Amphibien dagegen schon. Auf diesem Weg können sogar neue Arten entstehen – wie der Giebel.

Ursprung der Unisexualität

Der Giebel ist hexaploid – er besitzt also gleich sechs Chromosomensätze. Vier davon sind durch die Kreuzung zweier weitläufig verwandter Fischarten zusammengekommen – die anderen zwei wurden durch Kreuzung mit einem sehr nahe verwandten, vielleicht sogar art-identischen Fisch hinzugefügt.

„Vermutlich ist es bei diesen Kombinationen irgendwann zu Problemen bei der Bildung der Keimzellen gekommen. Das könnte einer der Auslöser von unisexueller Vermehrung sein“, erklärt Dunja Lamatsch. „Bei Arten, die sich rein weiblich vermehren, fällt die Meiose aus und ein Verschmelzen der Keimzellen ist nicht mehr nötig.“

Den Teams des IGB und der Universität Würzburg gelang es, das Genom des Giebels in einzelne Chromosomensätze zu zerlegen. Damit wurde zum ersten Mal die gesamte Erbinformation eines hexaploiden Tiers beschrieben und alle sechs Chromosomensätze analysiert. Das Genom des Giebels besteht aus insgesamt 150 Chromosomen, mehr als dreimal so viele wie das Genom des Menschen.

„Die Rekonstruktion aller Chromosomen eines hexaploiden Wirbeltiergenoms aus Sequenzierungsdaten ist ein sehr komplexes bioinformatisches Problem, welches wir nun erstmals durch den Einsatz neuester Sequenzierungstechnologien lösen konnten. Die mit Hilfe des EU-Projekts EASI-Genomics erstellten und frei verfügbaren Daten werden in Zukunft als Referenz für die Weiterentwicklung von Software zur Assemblierung von polyploiden Genomen dienen“, sagt der Genomforscher Dr. Heiner Kuhl vom IGB, Erstautor der Studie.

Die Analysen geben Aufschluss darüber, wie diese sechs Chromosomensätze nebeneinander existieren und zusammenwirken können. Die Identifizierung aller 150 Chromosomen ermöglicht es zum ersten Mal, die gesamte Genomstruktur des Giebels sowie seine komplizierte Entstehungsgeschichte zu verstehen. Durch die hohe Auflösung des Genoms konnten die Forscher bereits viele selektive Gendeletionen entdecken, die mit bisherigen Methoden übersehen wurden. Damit eröffnen sich viele weitere Forschungsansätze um diesen invasiven Fisch.

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei
Biologie der Fische, Fischerei und Aquakultur
PD Dr. Matthias Stöck
Tel. 030 64181-629
E-Mail matthias.stoeckigb-berlin.de

Dr. Heiner Kuhl
Tel. 030 64181-912
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