Interview | FVB | 11-01-2022

„Kommunikation ist der Schlüssel“

Im Gespräch mit Marta Alirangues-Núñez, Zentrale Gleichstellungsbeauftragte des FVB

Foto: privat

Marta Alirangues-Núñez arbeitet als Doktorandin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Seit Januar 2021 ist sie Zentrale Gleichstellungsbeauftragte des FVB. Die spanische Ökologin interessiert sich in ihrer Forschung vor allem für die Wiederherstellung von aquatischen Ökosystemen.

Die Fragen stellte Anja Wirsing.

Frau Alirangues-Núñez, seit Januar 2021 sind Sie Zentrale Gleichstellungsbeauftragte des Forschungs­verbundes Berlin. Die Stelle wurde neu geschaffen. Was sind Ihre Aufgaben?

Ich unterstütze die Gleichstellungsbeauftragten der Institute sowie der Gemeinsamen Verwaltung und organisiere Initiativen, um mehr Gleichstellung in den FVB zu bringen. Bei den FVB-Vorstandssitzungen ist immer ein festes Zeitfenster für das Thema Chancengleichheit reserviert. Kommunikation ist der Schlüssel, und wir müssen alle an Bord sein, wenn wir hierbei wirklich effektiv sein wollen.

Die Veränderungen müssen auf verschiedenen Ebenen erfolgen – sowohl in der Struktur der Einrichtung als auch bei uns selbst. Wir müssen an unseren eigenen unbewussten Vorurteilen arbeiten, indem wir Geschlechterrollen und Prozesse infrage stellen, die in der Vergangenheit weiße Männer gegenüber Frauen begünstigt haben. Dies betrifft zum Beispiel Stellenbesetzungen – angefangen bei der Formulierung von Stellenanzeigen, über die Frage, wie mehr Frauen oder unterrepräsentierte Gruppen angesprochen werden können, bis hin zum Punkt, wie wir Bewerber*innen bewerten. Weiterhin ist es wichtig, Frauen in ihrer beruflichen Laufbahn zu unterstützen, indem wir passende Schulungen anbieten, auf ihre Bedürfnisse eingehen und Maßnahmen entwickeln. All dies soll ihnen das Rüstzeug geben, um in einem Umfeld zu bestehen, das leider von und für Männer geschaffen wurde. Und ich habe viele Aufgaben darüber hinaus.

Was konnten Sie in Ihrem ersten Jahr bereits umsetzen oder initiieren?

Ich fange (fast) bei null an, was neu und aufregend, aber auch anspruchsvoll ist. Vor vier Jahren habe ich mich zum ersten Mal für Frauen in der Wissenschaft engagiert, als ich dem Team von Soapbox Science Berlin beigetreten bin – einer Initiative, die Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen in den MINT-Fächern (Mathematik, Medizin, Ingenieurwesen, Naturwissenschaft, Technik) sichtbarer machen will. Soapbox Science bringt Forschung auf die Straße, um Stereotype abzubauen und die Wissenschaft zugänglicher zu machen. Ich habe im letzten Jahr an verschiedenen Schulungen teilgenommen und am Aufbau eines Netzwerks von Gleichstellungsbeauftragten in Deutschland und auf internationaler Ebene gearbeitet. Diese Netzwerke haben mir Ideen und Informationen geliefert, die unsere Arbeit im FVB unterstützen.

In meinem ersten Jahr habe ich vier Workshops für Doktorandinnen und Postdoktorandinnen organisiert. In diesen ging es um Fragen zur eigenen Karriere, wie sich diese vorantreiben lässt und welche Themen dabei auf einen zukommen. Weiterhin haben alle Gleichstellungsbeauftragten im FVB aneiner gemeinsamen Fortbildung teilgenommen.

Zusätzlich habe ich Ressourcen und Informationen zusammengetragen, die ich für alle Mitarbeiter*innen auf der Gleichstellungsseite des FVB-Intranets zugänglich mache.

Ich treffe mich mit den Gleichstellungsbeauftragten monatlich und wir stehen in ständigem Kontakt. Sie haben mich in meinem ersten Jahr großartig beraten und unterstützt. Wir haben auch daran gearbeitet, die Gleichstellungspläne der Institute und des FVB an die Regeln von Horizon Europe, dem neuen EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, anzupassen. Dieses bietet eine große Chance, die Gleichstellung zu fördern

Was muss dringend getan werden?

Der FVB bewegt sich bei der Gleichstellung in die richtige Richtung, das ist ein kontinuierlicher Prozess. Wir lernen aus früheren Initiativen und anderen Einrichtungen, bewerten diese und entwickeln unsere Strategien weiter. Die Fortschritte sind jedoch viel zu langsam, nicht nur im FVB, sondern weltweit. Die Herausforderung ist, die derzeitigen Machtstrukturen in ein Modell mit mehr Gleichberechtigung umzuwandeln. Studien haben auch gezeigt, dass eine größere Vielfalt – nicht nur mit Frauen, sondern auch anderen ausgeschlossenen oder unterrepräsentierten Gruppen – produktiver ist.

Mehr Frauen in die Wissenschaft! Welche Maß­ nahmen sind besonders wichtig?

Gleichstellung muss aus verschiedenen Blickwinkeln angegangen werden. Der erste und für mich wirklich wichtige Schritt ist, unsere unbewussten Vorurteile anzuerkennen und daran zu arbeiten. Wir alle sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, die den Geschlechtern unterschiedliche Rollen und Stereotype zugewiesen hat – hierdurch sind Arbeit und Macht ungleich verteilt worden. Dies müssen wir kritisch zur Kenntnis nehmen und gemeinsam verbessern.

Ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt ist es, ein sicheres Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem jede*r ihre* seine Leistung erbringen und sich entfalten kann. Dazu gehört es, Eltern und Menschen mit Betreuungspflichten besser zu unterstützen und ausländische Mitarbeiter*innen zu beraten, wie sie sich im deutschen System zurechtfinden: im wissenschaftlichen Umfeld, bei Bewerbungen für Kindergärten, bei der Wohnungssuche, wenn soziale Unterstützung benötigt wird ... Wir müssen auch mehr Transparenz in der Kommunikation und den internen Prozessen in den Instituten und im FVB schaffen. Es gibt vieles mehr. Und wir müssen einen Werkzeugkoffer und Schulungen für Wissenschaftlerinnen anbieten – für junge Forscherinnen sowie für diejenigen in Leitungspositionen –, um ein wirklich diverses und einladendes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Wir erreichen Gleichstellung, indem wir alle an Bord kommen und zusammenarbeiten – davon bin ich überzeugt.

Das Interview ist im Verbundjournal 117 | 2021 mit dem Schwerpunkt Frauen in der Wissenschaft erschienen.

Soapbox Science ist eine neuartige öffentliche Plattform, die Frauen*, ihre Forschung sowie die Vielfalt in der Wissenschaft fördert und gleichzeitig Wissenschaft auf die Straße bringt. Wissenschaftler*innen sprechen dabei über ihre Forschung – und nicht über ihre Situation als Frau in einem MINT-Fach. Indem sie sich engagieren und sichtbar sind, werden sie zu Vorbildern und durchbrechen den akademischen Status quo. Dieses Format hat sich als erfolgreicher Weg erwiesen, ein vielfältiges, nicht-wissenschaftliches Publikum anzusprechen – da es sich sowohl an Kinder als auch Erwachsene richtet.

http://soapboxscience.org/berlin-local-organising-team/

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Zentrale Gleichstellungsbeauftragte
Marta Alirangues-Núñez
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)
Tel. 030 64181-792
E-Mail gleichstellungfv-berlin.de