Pressemitteilung | MBI | 18-10-2023

Manipulation kollektiver Bewegungen von Elektronen und Molekülen in polarer flüssiger Lösung

Ein Elektron und die umgebende Wolke aus Lösungsmitteldipolen koppeln durch elektrische Kräfte und können gemeinsame kollektive Bewegungen ausführen.

Fig. 1. (a, b) Zwei- und Dreiimpulssequenzen mit einem Nahinfrarot-Impuls, der Elektronen erzeugt (orange), einem THz-Sondenimpuls (blau) und einem THz-Störimpuls (grün). Die Impulse sind entlang der Echtzeitachse t dargestellt. Das Zeitintervall T ist die Wartezeit, das Zeitintervall die Verzögerungszeit. Bei der Zweiimpulssequenz fehlt der störende THz-Impuls. (c) Konturdiagramm des Sondenimpulses als Funktion der Echtzeit t und der Verzögerungszeit. Die diagonale orangefarbene Linie zeigt die zeitliche Position des Nahinfrarot-Impulses an. (d) Konturdiagramm des elektrischen Feldes, das sowohl den störenden THz-Impuls (diagonale Spur) als auch den THz-Sondenimpuls (vertikale Spur) enthält. | Abb. MBI

Solche Vielteilchenanregungen im Terahertz- (THz) Frequenzbereich werden als Polaronen bezeichnet und waren bisher nahezu unerforscht. Neue Ergebnisse ultraschneller THz-Spektroskopie zeigen die Erzeugung und Manipulation kohärenter Polaron-Schwingungen in einem Zeitbereich von 100 ps und darüber hinaus. Dies ermöglicht die Kontrolle dynamischer elektrischer Eigenschaften polarer Flüssigkeiten.

Die Ionisierung einer polaren Flüssigkeit durch intensive Licht- oder Teilchenstrahlen erzeugt freie Elektronen, die auf einer Zeitskala von Pikosekunden (1 ps = 10-12 s) in einen lokalisierten Grundzustand relaxieren. Der Relaxationsprozess umfasst die Neuausrichtung der umgebenden dipolaren Lösungsmittelmoleküle und die Dissipation überschüssiger Energie. Auf diese Weise bildet sich eine orientierte Molekülwolke, die die Ladung des Elektrons abschirmt. Während umfangreiche experimentelle und theoretische Arbeiten ein Einzelteilchenbild des sog. solvatisierten Elektrons etabliert haben, ist das kollektive Polaronverhalten des Elektrons und der umgebenden Lösungsmittelwolke kaum verstanden.

Forscher des Max-Born-Instituts haben nun die lineare und nichtlineare optische Polaronantwort mit Hilfe ultraschneller zweidimensionaler Spektroskopie im THz-Frequenzbereich untersucht. Wie sie in der aktuellen Ausgabe von Physical Review Letters berichten, werden durch Multiphoton-Ionisation von Isopropanol-Molekülen mit einem Femtosekunden-Impuls im nahen Infrarot freie Elektronen erzeugt und die daraus resultierenden Änderungen der dielektrischen Eigenschaften der Flüssigkeit im THz-Frequenzbereich gemessen bzw. manipuliert. Die entsprechenden Sequenzen des Nahinfrarot- und eines oder zweier THz-Impulse sind in Abb. 1(a, b) dargestellt. Während der Elektronenrelaxation in den lokalisierten Grundzustand werden impulsartig kollektive Polaronschwingungen ausgelöst. Die Oszillationen modulieren die dielektrische Funktion der Flüssigkeit und damit das elektrische Feld eines einzelnen THz-Impulses, der durch die angeregte Probe transmittiert wird [Abb. 1(a, c) und Abb. 2(a)]. Die Oszillationen halten über einen überraschend langen Zeitraum von über 100 ps an, ihre Frequenz von 3,9 THz wird durch die Elektronenkonzentration und die dielektrischen Eigenschaften der Flüssigkeit bestimmt.

Die Wechselwirkung mit einem zusätzlichen THz-Impuls stört diese oszillatorische Antwort [Abb. 1(b, d) und Abb. 2(b)], was zu einer deutlichen Änderung der Schwingungsphase und -frequenz während der Störung führt. Das elektrische Feld des störenden THz-Impulses induziert eine nichtresonante nichtlineare Polarisation, die auf das Polaron einwirkt und die kollektiven Schwingungen von Elektron und Lösungsmittelwolke verändert.

Die Polaronschwingungen sind mit Modulationen der Raumladung verbunden, die zu radialen, d. h. longitudinalen Größenschwankungen einer kugelförmigen Molekülwolke führen, die die Ladung des solvatisierten Elektrons abschirmt (siehe Film). Der Durchmesser der Molekülwolke liegt im Bereich einiger Nanometer. Die periodische Größenänderung wirkt sich auf die makroskopische Polarisierbarkeit des Polarons aus, die mit einem elektrischen THz-Feld erfasst werden kann. Der longitudinale Charakter der Oszillationen ist wesentlich für ihre schwache Kopplung an andere Anregungen der Flüssigkeit, was zu einer schwachen Dämpfung der kohärenten Bewegungen führt. Theoretische Berechnungen innerhalb eines Kontinuumsmodells, das auf dem lokalen Feldmodell von Clausius-Mossotti basiert, reproduzieren die beobachteten Phasenmodulationen.

Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Vielteilchen-Wechselwirkungen in polaren molekularen Ensembles und eröffnen eine Perspektive für die transiente Steuerung und Manipulation dielektrischer Eigenschaften in polaren Flüssigkeiten durch externe THz-Anregung.

Matthias Runge, Klaus Reimann, Michael Woerner, Thomas Elsaesser
Nonlinear terahertz polarizability of electrons solvated in a polar liquid
Phys. Rev. Lett. 131, 166902 (2023)

Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie
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