Pressemitteilung | IGB | 23-11-2022

Vorsicht, weißes Eis!

Weißes Eis ist instabiler und wird in Zukunft wahrscheinlich häufiger auftreten

Der eisbedeckte Stechlinsee. | Foto: Michael Feierabend

Die Qualität des Seeeises ist von größter Bedeutung für die Eissicherheit und die Ökologie eines Sees unter Eis, aber ihre zeitliche und räumliche Variabilität ist weitgehend unbekannt. Ein internationales Forschungsteam mit IGB-Forscher Hans-Peter Grossart hat 2020/2021 in einem der wärmsten Winter seit 1880 in der gesamten nördlichen Hemisphäre eine koordinierte Probenahmekampagne zur Qualität des Seeeises durchgeführt. Das Team unter Leitung der schwedischen Universität Uppsala konnte zeigen, dass das Seeeis in diesem Zeitraum vor allem aus instabilem weißem Eis bestand. Es machte zeitweise bis zu 100 Prozent der Gesamteisdicke aus.

Eis auf Seen kann verschiedene Qualitäten haben, den Unterschied erkennt man schon an der Farbe: Es gibt weißes und schwarzes Eis. Im Vergleich zu schwarzem Eis ist weißes Eis instabiler und hat eine geringere Tragfähigkeit, was die Nutzung des Eises für den Transport, die Freizeitgestaltung oder andere Zwecke riskant macht. Auch weiß man, dass weißes Eis die Menge des Sonnenlichts, die durch das Eis dringt, erheblich verringert. Damit sind Wachstum und Vermehrung aller Organismen, die Photosynthese betreiben, gefährdet, und das gesamte Nahrungsnetz kann gestört werden.

Weißes Eis wird in Zukunft wahrscheinlich häufiger auftreten

„In der IceBlitz-Probenahmekampagne  haben wir 167 Eiskerne in zehn verschiedenen Ländern entnommen.  Im Januar wiesen die meisten Seen eine dünne weiße Eisschicht auf, die dann über die gesamte Eisbedeckung hinweg allmählich wuchs. In der Zeit vor dem Abschmelzen des Eises war weißes Eis die vorherrschende Eisart auf den meisten Seen, die wir beprobt hatten“, erläutert IGB-Forscher Hans-Peter Grossart, der an der Studie beteiligt war.

Weißes Eis bildet sich in der Regel, wenn sich Schnee auf Eis ansammelt, schmilzt und wieder gefriert. Oder, wenn Regen auf die Schneeschicht fällt und Schneematsch bildet, der anschließend gefrieren und zu weißem Eis werden kann. Ebenso, wenn die Schneelast ausreicht, um Seewasser durch Risse in der Eismatrix an die Eisoberfläche zu drücken.  All dies tritt vor allem auf, wenn die Lufttemperaturen um den Gefrierpunkt schwanken.

Eisstabilität nimmt ab

„Bei fortgesetzter globaler Erwärmung wird das Auftreten von weißem Eis in der kritischen Periode vor der Schmelze wahrscheinlich erheblich zunehmen. In der Schule lernen wir, dass es in Ordnung ist, auf Eis zu gehen, wenn die Eisdicke 10 Zentimetern oder mehr beträgt. Wir schätzten, dass 10 Zentimeter Eis unter Glatteisbedingungen eine Belastung von 1.753 Kilogramm zulassen, während sie unter Weißeisbedingungen nur mit bis zu 175 Kilogramm belastbar sind. Die Unterschiede in der Eisstabilität sind also sehr groß. Da die Tragfähigkeit von weißem Eis so gering ist, kann eine Zunahme des Anteils von weißem Eis die Nutzung von saisonal eisbedeckten Seen für den Lebensunterhalt, die Freizeitgestaltung, den Verkehr und andere Zwecke gefährden“, warnt die Professorin Gesa Weyhenmeyer, Erstautorin der Studie von der Universität Uppsala.

Lichtdurchlässigkeit durch weißes Eis und ökologische Auswirkungen

Weißes Eis hat einen um ein Vielfaches höheren Reflexionsgrad als schwarzes Eis, so dass nur geringe Mengen an Licht durch weißes Eis dringen. Geringe Lichtverhältnisse im Frühjahr, die durch eine weiße Eisschicht und Schnee auf dem Eis verursacht werden, sind für die Entwicklung von Primärproduzenten und -konsumenten entscheidend, da ihr Wachstum und ihre Fortpflanzung vom Licht abhängen. Obwohl die Organismen eine Vielzahl von Überlebensstrategien entwickelt haben, wirken sich Veränderungen in der photoautotrophen Gemeinschaft durch Schnee und weißes Eis kaskadenartig auf das Nahrungsnetz aus, mit erheblichen Folgen für Mikroben-, Zooplankton- und Fischpopulationen.

„Die Richtlinien für die Eissicherheit müssen erneuert werden, zudem muss die Dicke des weißen Eises als wichtiger Regulator der physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse in den Seen berücksichtigt werden“, resümiert Gesa Weyhenmeyer.

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei
Plankton- und Mikrobielle Ökologie
Prof. Dr. Hans-Peter Grossart
Tel. 033082 699-91
E-Mail hgrossartigb-berlin.de