Pressemitteilung | IGB | 02-04-2003

Wenn aus Wasser Abwasser wird ...

 

Eine Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Christian Steinberg vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei


"... dann kriegen erst einmal alle Lebewesen in den Gewässern das auf den Kopf, was wir wegspülen." So brachte Prof. Dr. Christian Steinberg das Problem der Abwasserentsorgung auf den Punkt. Der Leiter des Berliner Leibniz-Institutes für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) war einer von vier Gästen bei der Podiumsdiskussion "Wasserwelten" am Dienstag in Berlin, deren Untertitel lautete "Wenn aus Wasser Abwasser wird". Steinberg merkte dabei an, dass die Gewässergüte in Berlin schlecht sei: "Berlin ist nicht in der Lage, die EU-Wasserrahmenrichtlinie einzuhalten." Eine Aufzeichnung dieser Debatte wird "infoRADIO" im Rahmen der Reihe "Treffpunkt WissensWerte" am kommenden Sonntag, 6. April, um 9.05 Uhr senden. Die Ausstrahlung wird am Ostermontag (21. April) um 11.05 Uhr wiederholt.


Es war ein langer Weg von der Rinnstein-Entsorgung der Metropole Berlin im 19. Jahrhundert bis zu den heutigen Großkläranlagen der 3,4-Millionen-Stadt. Die wohl bedeutendste Zäsur war die Errichtung eines Kanalisationssystems, welches die Abwässer auf die so genannten Rieselfelder außerhalb der Stadt pumpte. Dies begann 1873, und noch heute sind die Folgen zu spüren. Denn in den Böden reicherten sich über die vielen Jahrzehnte der "Verrieselung" hinweg Schadstoffe an, die eine Nutzung der Flächen heute erschweren. Zwar hat man jetzt das Problem dank moderner Klärwerke ganz gut im Griff, doch aus der Sicht des Gewässerökologen ist längst nicht alles in Ordnung. "Früher war die Umweltverschmutzung viel drastischer", sagte Steinberg. Die Fäkalien seien ungereinigt in Kanäle, Flüsse und Seen gelangt. Heutzutage aber liefen die Vergiftungsprozesse und Belastungen durch neue Stoffe, wie zum Beispiel Antibabypillen-Reste schleichender ab.


Zum einen nannte Steinberg die Nährstofffracht: Stickstoff und Phosphor düngen die Gewässer. Das führt unter anderem zur gefürchteten Algenblüte. Eine besondere Gefahr geht dabei von den giftigen Blaualgen aus. Nicht zu unterschätzen sei zum anderen aber auch die Belastung des Abwassers mit Medikamentenrückständen, Haushaltschemikalien und Kosmetika. Das Umweltrecht hinke der Entwicklung hinterher, sagte Steinberg. "Früher hat man gedacht, was dem Menschen gut tut, tut auch der Umwelt gut." Seit einigen Jahren jedoch beobachte man, dass junge männliche Fische verweiblichen. Ursache dafür sind Hormone sowie Substanzen, die so ähnlich wie Hormone wirken. Moderator Thomas Prinzler sprach den Leiter des IGB auf "Monstren" an, die dadurch entstünden und die in dem Leibniz-Institut zu sehen seien. Christian Steinberg: "Wir haben Froschlarven, die nicht erwachsen werden können. Sie bleiben immer Kaulquappen, wachsen aber heran - bis die Organe, die eigentlich für ,Babykörper‘ gedacht sind, den großen Organismus nicht mehr am Leben erhalten können.“ Als eine der Ursachen dafür nannte der Gewässerökologe die Rückstände der Antibabypille, die seit Jahrzehnten in die Gewässer gelangen. Gerade was Medikamente betreffe, habe „die Umweltgesetzgebung geschlafen“, kritisierte Steinberg. Auf eine Nachfrage aus dem Publikum betonte Steinberg auch, dass es noch keine gesicherten Erkenntnisse gebe über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen hormonell aktiven Substanzen in Gewässern und der Spermienqualität bei Männern. Nach dem gegenwärtigen Wissenstand sind nur aquatische Organismen betroffen.


Das mangelnde Wissen über die Wirkung der vielen im Wasser enthaltenen Substanzen auf Lebewesen stellt für den IGB-Leiter eines der dringendsten Probleme dar. „Der chemische Nachweis einzelner Stoffe ist vergleichsweise leicht“, sagte Steinberg, „aber was sie anrichten, das wissen wir nicht.“ Da gebe es noch viel zu tun. Gerade in Berlin sei hierzu jedoch Kompetenz gebündelt, fügte er hinzu. Mit dem „Kompetenzzentrum Wasser“ verfüge die Region über ein Forscher-Konsortium, das nahezu einzigartig in Deutschland sei. Und trotzdem lässt die Qualität der vielen Badestellen in Berlin nach Steinbergs Ansicht zu wünschen übrig. Seine persönliche Konsequenz daraus: „Ich bin seit acht Jahren in Berlin - und ich habe freiwillig noch in keinem Berliner Gewässer gebadet.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian E.W. Steinberg
Leibniz-Institut für Gewässerökologie
und Binnenfischerei (IGB)
Tel.: 030 / 6 41 81-601
Das IGB im Internet.

Die Podiumsdiskussion war eine gemeinsame Veranstaltung von TSB Technologiestiftung Berlin, infoRADIO Berlin-Brandenburg und der Investitionsbank Berlin in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin und dem Berliner Wirtschaftsgespräche e.V. Sendetermine auf infoRadio: Sonntag, 6. April, 9.05 Uhr, sowie Ostermontag, 21. April, 11.05 Uhr.