Interview | IGB | 23-10-2018

Dr. Lysanne Snijders Gastwissenschaftlerin am IGB: Wer gemeinsam schwimmt, findet mehr Nahrung

Wie gelangt man an Essbares, wenn das niemals zur gleichen Zeit oder am selben Ort zu finden ist? Mit dieser Überlebensfrage sind wild lebende Guppys im Regenwald von Trinidad täglich konfrontiert. Studiert man Guppys genauer, zeigt sich, dass es ein paar Kniffe gibt unvorhersehbare Nahrung zu finden: in der Gruppe schwimmen und sich mit Weibchen umgeben.

 

Dr. Lysanne Snijders, Sie sind Verhaltensökologin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Warum befassen Sie sich mit Nahrung suchenden Guppys im Regenwald?

Lysanne Snijders: Nahrung zu finden, ist eine der zentralen täglichen Aktivitäten von Tieren, aber nicht immer eine einfache. In Trinidad leben Guppys in Regenwaldflüssen, die sich über die Jahreszeiten, und manchmal auch binnen weniger Stunden, rapide wandeln. Die Tiere suchen dort nach etwas Fressbarem. Das sind etwa kleine Früchte oder Insekten, die irgendwo und zu unvorhersehbaren Zeitpunkten in das Wasser fallen. Wir haben wiederholt dieselben Guppy-Individuen in verschiedenen natürlichen Wasserbecken beobachtet und entdeckt, dass es einigen Guppys dauerhaft besser gelang Nahrung zu finden als anderen. Das war insofern überraschend, als diese Guppys nicht ihr Gedächtnis hatten nutzen können, um vom Futterfundort in dem einen auf einen möglichen Fundort im nächsten Wasserbecken schließen zu können. Es musste also andere individuelle Eigenschaften oder Abläufe geben, die einigen Fischen dabei halfen, erfolgreicher zu sein als andere.

 

Wie ist es Ihnen gelungen, diese winzigen Fische bei der Nahrungssuche zu beobachten?

Viele Tiere finden Nahrung, indem sie ihre Artgenossen bei deren Aktivitäten beobachten. Deswegen wollten wir herausfinden, ob unterschiedliches individuelles Sozialverhalten bei den Guppys eine Rolle gespielt haben könnte. Wir markierten die Tiere mit unterschiedlichen Farben, sodass wir Individuen folgen konnten, um zu sehen, wer wessen Gesellschaft suchte. Auf Basis dieser Beobachtungen berechneten wir, wie sozial sich jedes Tier verhielt und ob dies erklärte, wie viele Futterteile sie fanden. Solche Futterteile präsentierten wir in zufälligen Zeitabständen und an unterschiedlichen Orten innerhalb eines Wasserbeckens. Dafür nutzen wir eine Angelschnur, die an einem Stock befestigt war. Das war eine Art umgekehrtes Fischen: Unser Ziel bestand darin, den Fischen Futter zu geben, nicht die Fische selbst zu Futter zu machen.

 

Welche Beobachtungen haben Sie am meisten überrascht?

Wir haben herausgefunden, dass geselligere Individuen mehr Futterteile fanden. Wahrscheinlich weil sie schneller merkten, dass andere Fische Nahrung fanden. Interessanterweise entdeckten wir auch, dass Männchen mehr Nahrungsquellen fanden als Weibchen. Diese Männchen könnten davon profitiert haben, dass sie von vielen Weibchen umgeben waren, weil Guppys in Wasserbecken mit einer im Verhältnis größeren Anzahl von Weibchen auch mehr Futterteile fanden. Weibchen werden stark vom Futter angezogen und könnten damit Männchen, die sich ihrerseits von ihnen angezogen fühlen, zu vielen Futterteilen geführt haben.

Was ist für uns interessant daran, wie Guppys Nahrung suchen und finden?

Die individuellen Eigenschaften und Abläufe zu verstehen, die einzelnen Tieren dabei helfen Nahrung zu finden, kann uns dabei helfen vorherzusagen, wie bestimmte Tierarten regieren könnten, wenn sie mit zunehmend unvorhersehbaren Nahrungsquellen konfrontiert sind. Das kann insbesondere heutzutage, wo sich Umweltbedingungen rasch ändern, von großer Bedeutung sein.

Wie war die Feldarbeit mitten im Regenwald?

Feldarbeit ist immer eine besondere Erfahrung für mich, weil man so gut wie gar nichts unter Kontrolle hat. Im Regenwald können zwei Stunden starker Regen ein Versuchsgebiet einfach wegwaschen. Aber Weisheit beginnt mit Wundern, und der Regenwald ist ein wundersamer Ort. Es erstaunt mich immer wieder zu sehen, wie die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung in der Lage sind, mit extremen Wechseln in ihrer Umwelt klarzukommen. Ein bisschen riskant ist unsere Arbeit auch: Um zu unserem Versuchsgebiet zu kommen, mussten wir anfangs ein ganzes Stück wandern, und im Regenwald gibt es alle möglichen Tierarten, unter anderem garstige Moskitos und giftige Schlangen. Außerdem ist diese Art von Feldarbeit auch ein gemeinsamer Kraftakt, wir helfen uns gegenseitig und passen aufeinander auf. Das Team ist eine bunte Mischung verschiedener Alter und Fertigkeiten; was uns eint: Wir alle haben Freude daran, winzige Fische im Regenwald von Trinidad zu erforschen.

Dr. Lysanne Snijders

Gastwissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Abteilung Biologie und Ökologie der Fische, Fellow am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), Abteilung für Evolutionäre Ökologie, 0049 (0)30 5168 328

snijdersigb-berlin.de

Angelina Tittmann

Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Öffentlichkeitsarbeit, +49 (0)30 641 81 631,

tittmannigb-berlin.de

Zum Video:

https://www.youtube.com/watch?v=N9Z1Zai_eTg

Zur Studie in Nature Ecology & Evolution:

Snijders L, Kurvers RHJM, Krause S, Ramnarine IW, Krause J (2018). Individual- and population-level drivers of consistent foraging success across environments. Nature Ecology and Evolution. Published online

https://rdcu.be/5J97

Über das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB):

Die Arbeiten des Leibniz-IGB verbinden Grundlagen- mit Vorsorgeforschung als Basis für die nachhaltige Bewirtschaftung der Gewässer. Das IGB untersucht dabei die Struktur und Funktion von aquatischen Ökosystemen unter naturnahen Bedingungen und unter der Wirkung multipler Stressoren. Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Langzeitentwicklung von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten bei sich rasch ändernden Umweltbedingungen, die Entwicklung gekoppelter ökologischer und sozioökonomischer Modelle, die Renaturierung von Ökosystemen und die Biodiversität aquatischer Lebensräume.

www.igb-berlin.de