Pressemitteilung | FVB | 17-11-2004

Wie Knochen wachsen

Dissertation klärt Ursache einer bestimmten Form von Kleinwuchs auf. Autorin erhält den Nachwuchswissenschaftlerinnenpreis 2004 des Forschungsverbundes Berlin

Wie Knochen wachsen

Eleonora Minina| Foto: FVB

 

Dr. Eleonora Minina (29) hat den Nachwuchswissenschaftlerinnenpreis 2004 des Forschungsverbundes Berlin e.V. erhalten. Der Forschungsverbund würdigt mit dieser Auszeichnung die herausragende Dissertation der Biologin. In ihrer Promotionsarbeit untersuchte die Forscherin wichtige Vorgänge des Knochenwachstums. Sie leistete mit ihrer Studie einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung der Ursache der häufigsten Form des Kleinwuchses. Der Preis des Forschungsverbundes wird jährlich vergeben und ist mit 3.000 Euro dotiert. Der Berliner Wissenschaftsstaatssekretär Hans-Gerhard Husung übergab die Auszeichnung anlässlich des Parlamentarischen Abends des Forschungsverbundes am 17. November im Berliner Abgeordnetenhaus.

Die Preisträgerin stammt aus Kasachstan, hat in Novosibirsk (Russland) Molekularbiologie studiert und arbeitet heute am GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg bei München. Ihre Promotion legte Eleonora Minina an der Freien Universität Berlin vor, die Forschungen dazu führte sie unter anderem am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin durch. Dort hat sie sich in der Nachwuchsforschungsgruppe von Prof. Andrea Vortkamp mit der Entwicklung von Knochen beschäftigt.

Die Entwicklung bis zum vollausgebildeten Knochen wird vom Organismus genauestens gesteuert – mit Hilfe von Wachstumsfaktoren und Hormonen. Während des Embryonalstadiums bauen bestimmte Zellen aus Knorpelsubstanz zunächst eine Art Modell des späteren Knochens auf. Dabei vermehren sie sich und durchlaufen weitere Entwicklungsstadien, bis sie zum Schluss von Knochen bildenden Zellen „unterwandert“ werden, die den Knorpel nach und nach mit Knochensubstanz ersetzen. Dieser Prozess findet nicht gleichzeitig mit allen Knorpelzellen statt, er nimmt seinen Ausgangspunkt in der Mitte des zukünftigen Knochens. Fugen an den Enden des Röhrenknochens bleiben bis zum Ende der Pubertät Knorpel. Dann allerdings verknöchern sie vollständig, und das Längenwachstum ist abgeschlossen. Verknöchern diese Fugen zu früh, ist das Längenwachstum vorzeitig beendet. Eins von 10.000 Neugeborenen trägt eine Mutation, die zu diesem Phänomen führt. Betroffene haben eine Körpergröße unter 1,30 m und einen unproportionierten Körperbau. Diese Form des Kleinwuchses nennt man Achondroplasie.

Eleonora Minina entwickelte zunächst eine Methode, die Knorpel- und Knochenanlagen der Gliedmaßen von Mausembryonen in Kultur zu halten. Dabei liegen die Zellen nicht einzeln, sondern wie im lebenden Organismus im intakten Gewebe vor. Diese Gewebekulturen behandelte sie dann mit verschiedenen körpereigenen Substanzen, die das Knochenwachstum regulieren. Dabei beobachtete die Molekularbiologin das molekulare Geschehen in den verschiedenen Regionen des sich entwickelnden Knochens und wies nach, dass eine bestimmte Gruppe von Wachstumsfaktoren (FGFs), die Vermehrung der Knorpelzellen in den  Wachstumsfugen der Knochen hemmen. Außerdem fand Eleonora Minina heraus, dass FGFs den Prozess der Verknöcherung nicht, wie bisher angenommen, verzögern, sondern ihn sogar noch beschleunigen. Damit ist ein wichtiger Aspekt der Entstehung der Achondroplasie geklärt.

Wegen der erwähnten Mutation ist das Molekül, das auf den Knorpelzellen sitzt und durch FGFs aktiviert wird, gleichsam dauerhaft „eingeschaltet“. Die Mutation erzeugt eine Situation, wie sie durch eine Überdosis FGF entstehen würde. Die Folge ist, dass die Wachstumsfugen an den Enden der Knochen vorzeitig verknöchern und die Knochen lange vor der Pubertät nicht mehr weiter wachsen.

Die Wissenschaftlerin fand sogar noch einen „Gegenspieler“ der FGFs, die so genannten BMPs. Diese Substanzen erhöhen die Vermehrungsrate der Knorpelzellen und verzögern die ersten Schritte in Richtung Verknöcherung – ein hoffnungsvoller Ansatz für eine Therapie der Achondroplasie.

Eleonora Minina zeigte außerdem, dass die in dem Gewebekulturmodell von ihr entdeckten Zusammenhänge auch im lebenden Tier eine Rolle spielen.

Heute forscht Eleonora Minina am Institut für Entwicklungsgenetik in Neuherberg, wo sie aufdecken will, welche Rolle die in ihrer Doktorarbeit untersuchten Regulationsmechanismen bei der Entwicklung des Gehirns spielen. Insbesondere interessiert sie sich für die Nervenstrukturen, in denen der Neurotransmitter Dopamin vorkommt.